Der Kickers-Bus rollt ohne uns ins Saarland, weil die Griechen schon genug verloren haben
Dies ist die Geschichte von der Tragik alter Säcke. Wir kennen alles schon. Wir lassen unsere Déjà-vu-Erlebnisse beim Psychiater behandeln, wir schwören, den gleichen Mist nicht noch einmal zu veranstalten. Und dann sitzen wir tiefer im Schlamassel als je zuvor.
Es ist gerade mal acht Jahre her. Am Freitag, dem 27. Mai 2000, fuhren wir nach Karlsruhe. Es hat nie viele Gründe gegeben, nach Karlsruhe zu fahren. Diesmal schon. Am letzten Spieltag der zweiten Liga kämpften die Kickers beim KSC gegen den Abstieg. Ausgerechnet in Baden.
Der berühmte Kickerspräsident Axel Dünnwald-Metzler (ADM) regierte noch, aber jeder wusste, dass auch Patriarchen nicht ewig an der Macht bleiben. Wenn Patriarchen gehen, hinterlassen sie keinen Unterbau. Das System bricht zusammen.
Noch aber war der Präsident wohlauf und sein Club nicht ohne Chance. Ein Sieg würde uns retten und ein Unentschieden genügen, würde St. Pauli in Oberhausen verlieren. Wir spielten 1:1, aber St. Pauli leider auch. Der verehrte Piratenclub schoss das 1:1 in letzter Sekunde.
Das Schlimmste war der Rückweg. Ich schrieb noch einen kleinen Zeitungsbericht, er endete mit dem Satz: „Es wurde, mit Verlaub, eine beschissene Heimfahrt.“ Der Zensor hat das anstößige Adjektiv in der Eile akzeptiert, der Schreiber befand sich im Ausnahmezustand.
Das Scheißadjektiv habe ich in der Zwischenzeit öfter gebraucht, wenn es um die Kickers ging. Wir im Kickers-Tross sind ständig in einer Ausnahmesituation. Da ich heute ein hoffnungsloser Fall für den Psychiater bin, wäre ich an diesem Samstag beinahe im Fanbus nach Elversberg/Saarland gefahren. Aber George der Grieche, mein Stehtribünennachbar vom Kickersplatz, hat gesagt, er würde die Heimfahrt im Fall des Abstiegs nicht überleben. Er könne das seiner Familie nicht antun.
Gut, habe ich gesagt, das Glück ist eine Hure. Ich will George den Griechen nicht sterben sehen. Die Griechen haben schon genug verloren, seit sie die Demokratie erfunden haben. Wir werden in die Stuttgarter Rock“n“Roll-Kneipe Schlesinger gehen und das Drama live auf der Leinwand verfolgen. Wir wollen nicht in einem Reisebus zu Grunde gehen, womöglich im Saarland. Wir sterben lieber an Gram und Ungerechtigkeit in der Kneipe. „Begrabt mich hinter der Theke“, hat Dean Martin gesagt.
Selbstverständlich hat mir der Psychiater dieses pathetische Geschwafel verboten. Haben Sie nichts dazugelernt seit dem 27. Mai 2000 in Karlsruhe?, hat er gesagt. Doch, habe ich gesagt, aber Sie nicht. Seinerzeit ging es nur um den Abstieg in die dritte Liga. Diesmal aber fahren wir in die Hölle der vierten Liga. Der Psychiater wird die Behandlung abbrechen und mich von seiner Liste streichen, noch bevor ich ihm die ganze Wahrheit erzählen kann. Wir sind 2000 überhaupt nicht abgestiegen, weil der Berliner Pfeifenclub TeBe keine Lizenz erhalten hat. Und unser damaliger Trainer, der gelernte Kneipenwirt Stepanovic, hat später vor Gericht noch seine Nicht-Abstiegsprämie erstritten. Im Fußball ist nicht nur das Glück eine Hure.
Stuttgarter Nachrichten