StN: Vor 100 Jahren: Erstmals eine englische Fußballmannschaft zu Gast in Stuttgart

Vor 100 Jahren
Von „Blick vom Fernsehturm“, aktualisiert am 28.04.2010 um 04:33

Die Kolumne „Vor 100 Jahren“ betreut unser Mitarbeiter Ulrich Gohl. Sie erscheint immer dann, wenn er bei der Lektüre alter Lokalzeitungen in Archiven und Bibliotheken Lustiges oder Merkwürdiges aus alten Tagen entdeckt.

Plieningen, 25. April: Gestern mittag stürzte der verheiratete 34 Jahre alte Schreiner Gotthilf Walker am Eingang des Dorfes von einer Eiche, auf die er gestiegen war, um ein Vogelnest auszunehmen. Bei dem Sturz brach er sich das Genick und war sofort tot.

(Aus dem Stuttgarter Neuen Tagblatt, Ausgabe vom 26. April 1910)

Fußballsport: Am Sonntag war erstmals eine englische Fußballmannschaft in Stuttgart, und zwar bei einem Wettspiel gegen die „Kickers“. Es war die … Londoner Mannschaft „The Pirates“. Tausende zogen den Bopser hinauf, um dem Ereignis beizuwohnen. Auch der Protektor des veranstaltenden Vereins, Herzog Ulrich, hatte sich eingefunden, ebenso der Kriegsminister, Gen. d. Inf. v. Marchtaler, und der Kommandant von Stuttgart, Gen.Leut. v. Scharpff. Außerdem war … der englische Konsul, Mr. Gastrell, unter den Gästen.

Die engl. Gäste unternahmen sofort einen schneidigen Angriff auf das Kickerstor, wo aber der Torhüter sicher seines Amtes waltete. Die Einheimischen ließen an Angriffslust nichts vermissen und statteten dem englischen Tore einige, allerdings erfolglose Besuche ab. Auf beiden Seiten wurde flott kombiniert, wobei die Kickers, die wieder ihre beste Elf auf dem Platze hatten, fast mehr zeigten als die Gäste, die dafür eine glänzende Ballbehandlung aufwiesen. Nach einer halben Stunde konnte Ahorn, der flinke Innenstürmer, einen guten Schuß ins Tor geben. Die Engländer versuchten vergebens … bis zur Pause gleichzuziehen…

Nach der Pause ging Stuttgart sofort wieder energisch vor, und nach kurzer Zeit schoß Löble an dem herauslaufenden Torhüter vorbei den Ball ins Netz. Die Gäste ließen aber nicht locker; bis zum Schluß griffen sie … kräftig an, aber immer wieder wurden sie zurückgeschlagen und mußten der … Kickersmannschaft einen schönen Sieg mit 2:0 Toren lassen.

Die Gäste, die noch von keiner deutschen Mannschaft geschlagen wurde, waren sichtlich von den Strapazen der Spiele in Düsseldorf (8:0), Wiesbaden (2:1) und Hanau (5:2) mitgenommen, sie bemühten sich aber, schönes Spiel zu zeigen, und ernteten auch lebhaften Beifall… Die Einheimischen … zeigten wieder einmal, daß sie wirklich eine gute Klasse repräsentieren. Der Führer der Engländer bezeichnete sie als die beste Mannschaft, die er je in Deutschland gesehen.

(Aus der Schwäbischen Kronik, Ausgabe vom 26. April 1910)

Stuttgarter Nachrichten

Die englische Amateurmannschaft the Pirates unterliegt nach hartnäckigem Kampfe den Stuttgarter Kickers mit 2:0, Halbzeit 1:0

Im frischen Frühlingsgrün prangte gestern der Kickerssportplatz, der Boden war durch den niedergegangen Regen der letzten Tage in besten Zustand versetzt und so waren alle Bedingungen erfüllt, die ein erstklassiges Treffen erfordert. Es war deshalb nicht zu verwundern, daß dem gestrigen Spiel ein ganz besonderes Interesse geschenkt wurde, und daß nicht weniger als 3500 Zuschauer die Rampen umstanden, um mit größter Aufmerksamkeit den spannenden Kampf zu verfolgen. Unter den Gästen wurden bemerkt der Protektor des Vereins Herzog Ulrich von Württemberg, der Kriegsminister v. Marchtaler, der Gouverneur von Stuttgart, Exzelllens Generalleutnant von Scharpff, sowie der englische Konsul Mr. Gastrell.

Gleich nach Eintreffen des hohen Protektors gab der Schiedsrichter Dr. Hargreaves das Zeichen zum Spielbeginn. Schon in den ersten Minuten kommt es vor beiden Toren zu gefährlichen Momenten. Ein Schuß der Engländer wird vom Torhüter der Kickers abgewehrt. Ein schöner Angriff der Einheimischen endet ebenfalls in den Händen des Goalkeepers. Darauf ein wiederholter Ansturm der Gäste, Kühnle verfehlt den Ball, der gegnerische linke Flügel centert, aber seine Partner sind nicht zur Stelle. So vergeht die erste Viertelstunde ohne einen zählbaren Erfolg, beide Parteien spielen mit Anstrengung aller Kräfte. Mit erneuter Kampfeslust wird das Spiel fortgesetzt, der starke Wind bringt den Piraten große Vorteile, die Abwehr der Kickers muß stark arbeiten, aber man merkte bald, daß sie Herr der Lage bleiben werden. Bald können sich die Blauweißen von der momentanen Belagerung befreien, sie gewinnen von Minute zu Minute an Boden und bedrängen immer mehr das Tor der Piraten. Ein energischer Vorstoß des Halbrechten bringt die Kickers in unmittelbare Nähe des Strafraumes, der etwas schwach abgegebene Schuß wird vom englischen Torwart ruhig abgewehrt, doch wird seinen Vorderleuten der Ball alsbald wieder abgenommen und Ahorn (halblinks) umgeht geschickt die feindliche Läuferreihe der Gäste, um mit langem Schuß das erste Tor für Stuttgart zu treten. Auch diesesmal hätte der Torwächter rettend eingreifen können, wenn nicht der starke Gegenwind den Ball zu viel abgetrieben hätte. Die einheimische Mannschaft wird dadurch sehr mutig, sie zwingt ihren Gegner zur Defensive, viele Schüsse werden auf das Piratentor abgegeben, aber der Torhüter läßt bis zur Pause keinen Ball mehr durch. Mit 1:0 für Stuttgart werden die Seiten gewechselt. Nach Wiederbeginn haben die Kickers wieder die Oberhand und schon in der dritten Minute umspielt Löble die ganze gegnerische Verteidigung, das zweite Tor ist damit für Blauweiß erzielt und der Sieg liegt sicher in den Händen der Einheimischen. Das Tempo ließ von nun an ziemlich nach und nur während wenigen Minuten versuchten die Kickersgäste mit aller Kraft einen Erfolg zu erzwingen.

Die Spielweise der Gäste stand auf einer hohen Stufe, man muß sagen, daß sie ganz hervorragende Leistungen vollbrachten, jedoch fehlte ihnen der straffe Zusammenhalt in der Stürmerkette und so wirkte die Maschinerie der Kombination kaum so exakt, wie bei den Einheimischen. Möglich, daß das Spiel am Samstag abend in Hanau die Gäste zu stark mitgenommen hatte. Die Kickersmannschaft hatte einen guten Tag; sie gab ihren Gästen nicht viel nach, sie war spieltaktisch besser, jedoch spieltechnisch schlechter. Die Niederlage der Pirates ist die erste, die sie auf deutschem Boden erfahren mußten. Das diesjährige Tournee ist das dritte.

Württemberger Zeitung, Seite 9, vom 25. April 1910

Eine englische Fußballmannschaft in Stuttgart

Endlich ist es der Vereinsleitung der Stuttgarter Kickers gelungen, eine englische Mannschaft nach Stuttgart zu verpflichten, und es ist dadurch am kommenden Sonntag dem sportliebenden Publikum Gelegenheit gegeben, unsere beliebten Blauweißen zum ersten Mal einem englischen Gegner gegenübertreten zu sehen. Die besten englischen Amateurspieler, die sich the Pirates nennen, werden auf dem Kickerssportplatz gastieren, nachdem sie schon drei Spiele auf deutschem Boden absolviert haben. In Düsseldorf unterlag die deutsche Mannschaft mit 8:0; die Sportpresse schreibt, daß die Pirates sich aus äußerst raschen Spielern zusammensetzt und wohl alle ihre Spiele in Deutschland für sich entscheiden werden. Es wird die Stuttgarter Sportfreunde interessieren, wenn wir die einzelnen Spieler kurz vorstellen: Der Tormann W. Mulraney vertritt immer seine Grafschaft Essex repräsentativ und ist ein ruhiger, sehr verläßlicher Spieler. Die Verteidiger sind: W. H. Clarke und S. W. Black. Der Erstgenannte spielt für Chelmsford und ist der beste Verteidiger seiner Grafschaft, der schon sechsmal als Repräsentant dieser spielte. S. W. Black ist Mitglied von Plymouth Argyle, trat schon dreimal im Englischen Pokal-Spiel gegen Aston Villa, den berühmtesten Klub Englands an. Er ist ein ausgezeichneter Kopfspieler. Läufer: G. How hat in diesem Jahr in der vorletzten Runde um den englischen Pokal mitgespielt. Jones Glyn war in der repräsentativen Mannschaft Wales gegen England aufgestellt und hat sich auch schon als Berufsspieler betätigt. B. Gastell ist ein guter starker Spieler und gehört Manchester South End an, der besten Amateurmannschaft von Lancashire. Stürmer: J. McKenna (rechts-außen) spielte dieses Jahr im Probespiel Nordengland-Südengland mit und vertritt Liverpool in Liga I. G. Griffiths (halbrechts) zeichnet sich besonders durch guten Schuß aus. Jones (Mittelstürmer) ist die Seele des Angriffs, er hatte von Leicester Fosse als Berufsspieler einen Ruf erhalten. P. Turall (halblinks) ist Mitglied von Chelmsford und besitzt den besten Schuß in Essex. S. R. Croiol (links-außen), ein flinker Stürmer, der eine herrvorragende Balltechnik besitzt. Ersatzmann: E. Salt (linker Stürmer) vertrat Lancashire repräsentativ. Das Schiedsrichteramt hat der Führer der Engländer, Dr. Hargreaves, übernommen.

Württemberger Zeitung, Nr. 92, Seite 9, vom 22. April 1910