Buchwald fällt die Schlüsselrolle zu
Artikel aus der STUTTGARTER ZEITUNG vom 30.11.2010
Kickers Der Regionalligist setzt im Präsidium auf den Weltmeister. 338000 Euro Verlust schlagen zu Buche. Von Joachim Klumpp
Zum Abschied hat es viel Applaus für den scheidenden Präsidenten Edgar Kurz gegeben, mehr als in den meisten Heimspielen dieser Saison für die Mannschaft. „Es ist wichtig, mit kühlem Kopf Entscheidungen zugunsten der Stuttgarter Kickers zu treffen – das habe ich getan“, sagte Kurz zu seinem Rücktritt nach 16 Monaten. Sein Nachfolger Rainer Lorz betonte wenig später vor 177 Mitgliedern wiederum, dass er für dieses Amt nur übergangsweise zur Verfügung stehe, um die Handlungsfähigkeit des Vereins sicherzustellen und eine wochenlange Diskussion um die Führung bei den Kickers zu vermeiden. Als vorrangige Aufgabe nannte er: „Eine klare und vorurteilsfreie Bestandsaufnahme in allen Bereichen.“
Und das mit der neuen Führungsmannschaft, die nur noch aus vier Mann besteht: Neben dem bisherigen Aufsichtsratsvorsitzenden Lorz sind das Guido Buchwald, der sich um die sportlichen Dinge kümmern soll, der zuletzt als Schatzmeister tätige Gerhard Baumeister für das Ressort Marketing/Vertrieb sowie der neu hinzugekommene Tobias Schlauch, der für die Finanzen des Fußball-Regionalligisten zuständig ist – traditionell eine der heikelsten Aufgaben bei den Blauen, da rote Zahlen bei ihnen zum Alltag gehören.
So wurde auch gestern auf der Mitgliederversammlung für das abgelaufene Geschäftsjahr 2009/10 (Stichtag 30. Juni) ein Verlust von exakt 338 372,84 Euro ausgewiesen – mehr als doppelt so viel wie ein Jahr zuvor. Das liegt zum einen an einem erheblichen Rückgang auf der Einnahmenseite, wo vor allem die Posten Werbung (nur noch 752 194,10 Euro statt 1,252 Millionen) oder die fehlenden TV-Gelder (110 226,98 Euro statt 588 360) ins Gewicht fallen. Zudem wurde eine dreiviertel Million Euro an Transfervolumen – einmalig – in die Beteiligungs KG des Clubs ausgelagert. Lorz machte aber unmissverständlich klar: „Wir dürfen künftig nicht mehr ausgeben als wir einnehmen.“
Interessant ist in der Bilanz vor allem der Posten Rechnungsabgrenzung, der in diesem Jahr etwa 970 000 Euro (gegenüber 209 000) ausweist, wobei der Zuwachs in großen Teilen auf die quasi im Voraus erhaltene Einlage des Investors zurückzuführen ist, die auch den Kassenbestand zum Stichtag 30. Juni von 224 000 auf 891 000 Euro ansteigen ließ. Der Schuldenstand beläuft sich auf eine Million Euro zuzüglich des Investorenkapitals. Effektiv arbeiteten die Kickers im abgelaufenen Geschäftjahr insofern, als dass sie 130 000 Euro an Verbindlichkeiten abbauten. „In der Relation ist dieses unschöne Ergebnis deshalb noch akzeptabel“, sagte der aktuelle Schatzmeister Gerhard Baumeister: „Durch den Investor haben wir bereits auch eine Planungssicherheit für die nächste Saison.“ So weit also die wirtschaftlichen Eckdaten.
Natürlich hängt die Zukunft der Kickers unabhängig von allen finanziellen Zwängen maßgeblich von der sportlichen Leistung ab, denn in der nächsten Saison gilt der Aufstieg als Pflicht. Deshalb kommt dem neuen Präsidiumsmitglied Buchwald eine Schlüsselrolle zu, der für die erste Mannschaft zuständig ist und in dieser Rolle ganz bewusst Verantwortung übernehmen soll (auch wenn er gestern wegen der WM-Auslosung der Frauen abwesend war). Lorz betonte: „Das gilt für alle personellen Fragen im sportlichen Bereich.“ Also zum Beispiel beim Trainer, wobei die Zukunft Dirk Schusters letztendlich von der Entwicklung der Mannschaft und dem Tabellenplatz abhängt.
„Es warten umfangreiche Arbeiten auf uns“, hat Buchwald bereits vor dem offiziellen Amtsantritt des neuen Präsidiums erkannt, „es gilt jetzt erfolgreich die Weichen zu stellen, um spätestens in der Saison 2011/12 den Aufstieg in die dritte Liga zu schaffen.“ Ansonsten könnte die nächste Hauptversammlung nicht so harmonisch verlaufen wie gestern im SSB-Waldaupark, als schon nach zwei Stunden Schluss war.
Stuttgarter Zeitung
Die Blauen schreiben rote Zahlen
Von Jürgen Frey, aktualisiert am 30.11.2010 um 15:59
Mitgliederversammlung SV Stuttgarter Kickers
Die neue Führungsriege der Kickers: Gerhard Baumeister, Rainer Lorz, Tobias Schlauch (v. li.) – es fehlt Guido Buchwald, der bei der Auslosung der Frauen-Fußball-WM in Frankfurt weilte Foto: Pressefoto Baumann
Stuttgart – Der Kampf ums Überleben in der Fußball-Regionalliga ist für keinen Verein einfach. Auch die Zahlen, die die Stuttgarter Kickers gestern bei ihrer Mitgliederversammlung präsentierten, belegen: Aus dieser Spielklasse müssen die Blauen so schnell wie möglich raus.
Wer nach den Turbulenzen der vergangenen Wochen gedacht hat, es würde heiß hergehen bei der Mitgliederversammlung der Blauen, der täuschte sich. Und zwar gewaltig. Bereits nach einer Stunde und 45 Minuten war die Veranstaltung im SSB-Waldaupark beendet. Keiner murrte, keiner stellte eine Frage. Und das Präsidium und der Aufsichtsrat wurden jeweils ohne Gegenstimme entlastet.
„Die Kickers sind in guten Händen“
Dass es so entspannt zuging, lag auch an Edgar Kurz. Der ausgeschiedene Kickers-Chef ist ein unaufgeregter Mensch; schmutzige Wäsche zu waschen, ist nicht seine Art. Auch nicht nach den teils heftigen Auseinandersetzungen in letzter Zeit mit dem Aufsichtsrat. „Die Kickers sind in guten Händen, ich werde auch künftig mit jedem Präsidiums- und Aufsichtsratsmitglied ein Glas Wein trinken können“, hatte Kurz schon vor der Mitgliederversammlung gesagt. Auch nach seiner praktisch letzten Amtshandlung, der Begrüßung der 177 anwesenden (von 1482) Mitglieder, war Kurz stets auf Harmonie bedacht.
Das ändert allerdings nichts daran, dass es für die Blauen finanziell alles andere als rosig aussieht. Für die Saison 2009/10 vermeldeten sie ein Defizit von 338.373 Euro, dadurch erhöhte sich die bilanzielle Überschuldung auf 1,082 Millionen Euro. Schatzmeister Gerhard Baumeister, der künftig für die Ressorts Marketing /Vertrieb und andere Abteilungen zuständig sein wird, drückte sich so aus: „Das ist kein gutes Ergebnis, aber in Anbetracht der Umstände ein vertretbares Ergebnis.“ Die Umstände ergeben sich aus dem Abstieg aus der dritten Liga.
Weniger Geld in der Regionalliga
In der Regionalliga generierten die Kickers 1,7 Millionen Euro weniger Einnahmen. Allein die Fernsehgelder verringerten sich um knapp 500.000 Euro, die Werbeeinnahmen gingen um etwa den gleichen Betrag zurück. Sinkende Zuschauerzahlen eine Etage tiefer schlugen mit einem Minus von rund 160.000 Euro zu Buche. Man braucht keine große Fantasie zu haben, um daraus die Schlussfolgerung zu ziehen: In der Regionalliga wird es nicht mehr allzu lange dauern, bis die Kickers bei diesem finanziellen Drahtseilakt die Balance verlieren werden. Die Lage ist ernst. Und es gibt nur einen Ausweg, um den Verein in professioneller Form zu erhalten: den Aufstieg. „Wir müssen so schnell wie möglich raus aus dieser toten Liga, und wir werden alle Anstrengungen unternehmen, dass wir das in der kommenden Saison schaffen“, stellte der neue Präsident Rainer Lorz klar.
Immerhin konnte der Rechtsanwalt versichern, dass der Verein in den Wintermonaten kein Liquiditätsproblem bekommen wird. „Die Saison ist finanziell gesichert“, betonte Lorz. An wem dies liegt, ist klar: am Investor. Er hat in der vergangenen Saison bereits 150.000 Euro in den Verein gepumpt. Und ein Großteil der verbleibenden 850.000 Euro sind ebenfalls bereits an den Verein geflossen. Bilanziell wird dieser Betrag unter Verbindlichkeiten verbucht (wie etwa auch die Darlehen von Hans Kullen und der verstorbenen Ursi Dünnwald-Metzler), weshalb diese auf über zwei Millionen Euro angewachsen sind. „Wenn man die Mittel des Investors rausrechnet, haben wir jedoch 100.000 Euro an Verbindlichkeiten abgebaut“, sagt Baumeister.
Unabhängig davon wartet auf Rainer Lorz und seine Präsidiumskollegen Gerhard Baumeister, Tobias Schlauch und Guido Buchwald (er war wegen der Auslosung zur Frauen-WM in Frankfurt nicht anwesend) ungemein viel Arbeit. Zumal auch die Personalie Jens Zimmermann noch nicht endgültig geklärt ist. Der Geschäftsführer hatte intern bereits erklärt, sich mit Ex-Präsident Kurz solidarisch zu zeigen und auch zurückzutreten. Gestern sagte Zimmermann: „Ich habe einen Vertrag bei den Kickers, es gibt keine weiteren Diskussionen.“ Die wird es aber wohl zwangsläufig geben, solange Michael Zeyer als Sportkoordinator in Degerloch tätig ist. Denn das Verhältnis der beiden ist äußerst angespannt. Ganz im Gegensatz offenbar zur Beziehung der Kickers-Mitglieder zu ihrem Club, selbst in den turbulentesten Phasen.
Stuttgarter Nachrichten