Jürgen Sundermann über die mentale Schwäche des Regionalligisten Stuttgarter Kickers und mögliche Wege aus der Krise
Seit sechs Wochen ist der frühere Bundesligatrainer Jürgen Sundermann bei den Stuttgarter Kickers engagiert: als Berater der Profis und im Bereich der Jugendkoordination. „Ich will hier als Helfer auftreten und nicht als Besserwisser“, sagt der 68-Jährige im Gespräch mit Joachim Klumpp.
Herr Sundermann, Sie haben sich am vergangenen Samstag nach der Niederlage gegen die zweite Mannschaft der Bayern auf der Tribüne noch intensiv mit dem Präsidiumsmitglied Walter Kelsch ausgetauscht. Mit welchem Ergebnis?
Also ich habe in meiner langen Karriere schon schlimmere Situationen erlebt; die Lage bei den Kickers ist sicher schwierig, aber noch lange nicht hoffnungslos.
Was stimmt Sie nach dieser Vorstellung gegen Bayern München II denn zuversichtlich?
Die Mannschaft kann ja Fußball spielen, das hat man beim Sieg gegen Ingolstadt in der Vorbereitung gesehen. Oder auch in der zweiten Halbzeit in Siegen, wo die Kickers klar die bessere Elf waren.
Warum zeigen die Spieler das dann nicht über 90 Minuten und schon gar nicht in den Heimspielen?
Da fehlt in erster Linie natürlich das Selbstvertrauen. Da unten kommt man nur raus, wenn unheimliche Kräfte auf dem Platz frei werden. Letztlich ist Fußball keine Frage der Muskeln oder der Taktik, sondern in erster Linie eine Sache des Kopfes.
Und der ist bei den Spielern der Kickers demnach blockiert?
Es scheint so, die Mannschaft muss einfach an sich glauben, da vermisse ich auch die gegenseitige Motivation und Anfeuerung. Am Samstag zum Beispiel gab es keine einzige Gelbe Karte, das sagt einiges.
Sie sind vom Kickers-Präsidium als Berater engagiert worden. Haben Sie denn regelmäßigen Kontakt zur Mannschaft?
Nein, den gibt es nicht. Abgesehen von ein paar persönlichen Gesprächen mit dem einen oder anderen Spieler.
Das dürfte für Sie nicht unbedingt eine zufriedenstellende Situation sein?
Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich dazu nicht äußern möchte, schon gar nicht vor so einem wichtigen Spiel wie gegen Pfullendorf. Denn das wäre jetzt kontraproduktiv. Wobei ich an dieser Stelle betonen möchte, dass ich hier als Helfer auftreten will und nicht als Kritiker oder Besserwisser.
Gab es denn diesen Vorwurf?
Nach dem Spiel in Siegen wurde bei den Kickers der Kampfgeist in der zweiten Halbzeit gelobt. Ich habe dazu gesagt, das ist für mich selbstverständlich. Das wurde negativ ausgelegt, auch wenn es nicht so gemeint war. Im Gegenteil: ich wollte nur ausdrücken, dass die Mannschaft weiß, dass dies selbstverständlich ist.
Die mentale Ebene scheint Ihnen sehr am Herzen zu liegen?
Ich habe mich in meiner Karriere viel damit befasst. Und es gibt immer wieder Fälle, die das untermauern.
Zum Beispiel?
Nehmen wir Leipzig, wo ich Trainer in der zweiten Liga war und wir im letzten Saisonspiel gegen 1860 München gewinnen mussten, um nicht abzusteigen. Die Teamsitzung habe ich damals vor dem Hotel im Park abgehalten, ohne den Gegner oder das Wort Fußball überhaupt zu erwähnen. Dafür habe ich die Spieler daran erinnert, dass sie mit einem Sieg die Zukunft der eigenen Familie mitbestimmen können – was gibt es Schöneres. Wir haben gewonnen und sind ein Jahr später in die Bundesliga aufgestiegen.
Aber die Spieler der Kickers haben Angst vor der Arbeitslosigkeit.
Das ist in dieser Situation das Schlimmste, was passieren kann. Schon allein deshalb würde ich hier auch keinem Kickers-Akteur unterstellen, dass ihm die nötige Einstellung fehlt. Die Spieler haben zuletzt von der Vereinigung der Vertragsspieler einen Brief erhalten, in dem steht, dass bei einem Abstieg ihre Verträge ungültig seien und sie sich arbeitslos melden müssten – sonst würden sie gesperrt.
Was kann man dagegen tun?
Hier müsste vielleicht eine gewisse Hilfestellung von außen gegeben werden. Aber zunächst einmal hege ich die Hoffnung, dass die Mannschaft über Erfolgserlebnisse wieder in die Verfassung kommt, um die Qualifikation zu schaffen. Es sind ja noch 13 Spiele.
Im Nachwuchsbereich arbeiten Sie derzeit eng mit dem verletzten Jugendkoordinator Zoltan Sebescen zusammen. Gibt es denn hier wenigstens positive Nachrichten?
Die sportliche Lage ist auch da schwierig. Aber es gibt konkrete Pläne zum Aufbau einer Jugendakademie, die in Deutschland federführend sein wird. Die entsprechenden Gespräche mit Schulen – wie der Wald-, Merz- oder Cottaschule – laufen bereits. Allerdings steht und fällt das Ganze eben mit der Qualifikation für die dritte Liga.
Stuttgarter Zeitung