Nach dem ersten Sieg im Jahr 2009 hier auch die nächste Reise in die Vereinsgeschichte. Wir reisen zurück in die Saison 1924/25. Die Kickers werden unter ihrem Trainer Edwin Dutton letztlich souverän Bezirksmeister Württembergisch/Baden vor dem Freiburger FC und qualifizieren sich damit für die Endrunde um die Süddeutsche Meisterschaft. Dort treffen sie auf die Traditionsvereine VfR Mannheim, FSV Frankfurt und dem damaligen unbezwingbaren Rivalen 1. FC Nürnberg. Am 22.02.1925 müssen die Kickers zum Club nach Nürnberg reisen.
FC Nürnberg – Stuttgarter Kickers 1:0 (0:0)
Die beiden Mannschaften, die uns am letzten Sonntag mit so netten Überraschungen bedachten, lieferten sich vor einer 10000köpfigen Zuschauermenge einen Kampf, nach dem man es wirklich nicht verstehen kann, daß sie am letzten Sonntag beide ohne Tore die Heimreise von Mannheim bzw. Wiesbaden antreten mußten. Von den Kickers vielleicht noch weniger als vom Club! Denn um es gleich vorweg zu sagen:
Die Stuttgarter Mannschaftsarbeit, besonders im Sturm, konnte hier sehr gut gefallen und ruhig neben den von internationalen Mannschaften hier gezeigten Leistungen bestehen.
Obwohl Reihing, der Held gegen Frankfurt fehlte, klappte es im Sturm sehr gut, was in erster Linie auf gute Ballverteilung des jungendlichen Mittelstürmers Keßler und auf das rationelle Schaffen der beiden Außenstürmer Wunderlich und Weiler zurückzuführen ist. Daß sich Wunderlich in gewissen Kampfphasen oft ziemliche Reserve auferlegte, macht er durch um so energischeres Eingreifen im entscheidenden Moment wieder reichlich gut. Einen hervorragenden Anteil an dem schönen Feldspiel des Sturmes hat auch der Mittelläufer Niederbacher, neben dem in der Läuferreiche noch Strehle gefiel. Die Ersatzverteidigung Müller-Unseld war bei etwas besserer Leistung des ersternen guter Durchschnitt. Das einzige Tor des Tages wurde allerdings durch ihr zu weites Aufrücken verschuldet. Hätte die Verteidigung das so viel geschmähte Zurückspielen an den Torwart in Anwendung gebracht, so wäre das Tor leicht verhindert gewesen. Der Torwart Götz zählte zu den besten Leuten auf dem Spielfeld.
Im Mannschaftsspiel war Stuttgart trotz Ersatzleute dem Club vollkommen ebenbürtig. Die Kickers dürften sicher unter den drei süddeutschen Mannschaften zu finden sein, die in die DFB-Meisterschaft kommen, und sollten ihrer derzeitigen Form entsprechend dabei eine nicht unwesentliche Rolle spielen.
Der Club konnte das unglückliche Mannheimer 0:1-Spiel durch ein glückliches 1:0 wieder ausgleichen. In Mannheim soll er nach den Berichten 2/3 des Spieles überlegen gewesen sein und verlor! Diesmal dar das Spiel vollkommen gleich verteilt (vielleicht bis auf die letzte Viertelstunde, wo der Club stark drängte), und es reichte zum Sieg! Den Hauptanteil am Erfolg hat, wie schon so oft, die Läuferreihe, in der besonders Kalb und Riegel ein überragendes Spiel lieferten. Der Sturm arbeitete weniger zusammenhängend als der der Stuttgarter, schuf aber durch gute Einzelhandlungen desto gefährlichere Lagen. Am schwächsten war wohl Sutor, der seine ehemalige Form nicht mehr zu erreichen scheint. Köpplinger als Rechtsaußen dürfte die beste Lösung sein, wenn es gilt, Strobel zu ersetzen. Die übrigen Clubleute schafften unentwegt, und besonders das Schlußtrio entledigte sich seiner nicht immer leichten Aufgabe in altbewährter Manier. Den Sieg verdankt der club nur seiner größeren Wucht, die diesmal bei einzelnen Leuten allerdings mit etwas zu viel Körperlichkeit gepaart war.
Viel Schuld daran trug allerdings hier der Schiedsrichter, Herr Weingärtner-Offenbach, mit dessen Leistung man sich beim besten Willen nicht einverstanden erklären konnte. Er ließ in der ersten Halbzeit so viel ungeahndet hingehen und ließ sich auch von einzelnen Spielern zuviel gefallen. Die schlechten Früchte seiner Tätigkeit konnte er feststellen, als Kalb bei einem von ihm begangenen Foul erklärte: „Der Herr Schiedsrichter erlaubt’s ja.“ Auch nicht wenige Fehlentscheidungen kamen aus dem Munde des Schiedsrichters, was dem Publikum aber noch lange nicht das Recht gibt, in so unfeiner Weise zu protestieren, wie es verschiedene Male geschah.
Bei drei Ersatzleuten auf seiten der Kickers (Höschle, Nagel, Reihing) und Strobel beim Club traten die Mannschaften in folgender Aufstellung an:
Stuttgarter Kickers: Götz; Müller, Unseld; Strehle, Niederbacher, Kurz; Wunderlich, Hartmann, Keßler, Seemann, Weilter
1. FC Nürnberg: Stuhlfauth; Kugler, Popp; Riegel, Kalb, Schmidt; Sutor, Träg, Wieder, Hochgesang, KöpplingerSpielverlauf
Mit dem Anstoß des Clubs entwickelt sich ein wechselvoller, später sehr hart werdender Kampf. Träg kommt gleich in der ersten Minute bis vors Tor, doch Götz fährt gewandt dazwischen. Auch Stuttgart zeigt gleich, daß seine Stürmer etwas können. Der Angriff kombiniert gefällig, doch der Schuß des in die Mitte gegangenen Wunderlich gerät infolge schlechter Lage zu schwach, so daß er Stuhlfauth keine Mühe bereitet. Der Club will das Spiel für sich entschieden wissen und geht mächtig zum Angriff über. Wieder verschießt eine Vorlage Hochgesangts, und Götz boxt einen Strafstoß von der rechten Flanke aus sicher ins Feld zurück. Auch Popp versucht sein Schußglück, aber der Ball geht hoch drüber. Bei einem Stuttgarter Angriff der linken Seite gibt Schmidt zu kurz an Stuhlfauth zurück, der flinke Weiler drängt sofort nach, doch Stuhlfauth, rasch entschlossen, wehrt gerade noch mit dem Fuß. Sehr gefährlich wird ein Strafstoß Kalbs, der zur ersten Ecke gelenkt wird. Diese gibt Sutor hinters Tor. Götz macht gleich darauf einen Schuß von Hochgesangt unschädlich. Nachdem sich nun Nürnberg etwas ausgetobt hat, leitet auch Stuttgart eine Reihe erfolgsversprechender Angriffe ein. Der gut durchkommende Weiler schießt aus schiefem Winkel übers Netz.Seine beste Chance vor Halbzeit hat Stuttgart, als die Sturmmitte zum Schuß ansetzt, Stuhlfauth sich zu spät entgegenwirft und den Ball verfehlt. Langsam rollt das Leder aber neben das Netz. Auch weitere Kickersschüsse verfehlen ihr Ziel. Da gibt es plötzlich auf der anderen Seite etwas Besonderes. Träg hat sich durch die Verteidigung gewunden und steht vor dem Tor! Da wirft sich Götz in die schon aufgegebene Situation und holt sich den Ball vor Träg Füßen, eine Glanzleistung, die ihm besonders bei der 900 Mann starken per Extrazug eingetroffenen Stuttgarter Kolonie auf der Tribüne riesigen Beifall einträgt. Auch einen schön hereingegebenen Strafstoß von Riegel macht Götz zunichte. Weitere Ecken für den Club gehen vorüber, ohne das 0:0 zu beeinflußen. Den einzigen Fehler des Tages macht Götz, als er eine Flanke Köpplingers verfehlt, doch auch diese Gefahr wird beseitigt. Die vierte Clubecke ergibt ein prachtvolles Bild. Riegel gibt den Ball präzis herein, Kalb köpft wuchtig aufs Tor, doch Götz hält sehr schön. Zum Schluß der ersten Halbzeit schießt Wunderlich die erste Ecke Stuttgarts hinter das Tor.
Nürnberg hatte bisher die zahlreicheren Torchancen, obwohl das Spiel vollkommen gleich verteilt war und Stuttgart im Stürmerzusammenspiel etwas mehr gezeigt hatte.
Der Beginn der zweiten Halbzeit gehört Stuttgart. Sofort kommt es vors Tor, doch hier kann Stuhlfauth leicht klären. Die zweite Ecke Stuttgarts bringt dem Club eine gefährliche Lage vor dem Tor. Wunderlich schießt die Ecke präzis zur Mitte, wo Hartmann in Abseitsstellung den Ball elegant einköpft; der Schiedsrichter kann das Tor aber nicht geben. Von der 10. bis zur 15. Minute folgt wieder eine inhaltreiche Clubdrangperiode. Eine Kombination Träg-Sutor läßt letzterer durch knappen Fehlschuß unausgenütz. Träg erzielt die fünfte Ecke, die abgewehrt wird und Riegel setzt einen Strafstoß aufs Tor, den Götz zur sechsten Ecke boxt, die wieder gewehrt wird. Das Tempo steigert sich jetzt ganz gewaltig. Hochgesang schießt darüber; dann verstreicht die siebente Clubecke erfolglos! Und immer noch kein Tor! Weiler bricht durch, schießt aber wieder vorbei. Vor Stuttgarts Tor sieht es einmal sehr brenzlig aus, im letzten Moment rettet Götz. Wieder gibt Weiler einen schönen Schuß ab, den Stuhlfauth gut hält.
In der 24. Minute scheidet Wieder infolge Verletzung aus. Dadurch kann Stuttgart einige Minuten das Spiel in die gegnerische Hälfte verlegen, jedoch ohne Erfolg. Im Gegenteil! Hochgesang nutzt das zu weite Aufrücken der Kickersverteidigung gewandt aus, indem er einen Abwehrschlag übernimmt, rasch davonläuft und gerade in diesem Augenblick vollkommen überraschend an dem herauslaufenden Götz vorbei ins leere Tor einsendet.
29. Minute 1:0.
Nicht enden wollender Beifall begleitete die Clubelf zum Wiederanstoß. Kickers bemüht sich jetzt stark um den Ausgleich. Eine Flanke Wunderlichs faßt Seemann geschickt ab und sendet einen gefährlichen Schuß aufs Tor, den aber Stuhlfauth sicher abwehrt. Dann folgt die achte Ecke für den Club, die der Schiedsrichter fälschlicherweise gab. Müller stellte den vorstürmenden Träg ab, ohne den Ball zu berühren! Die Ecke ergibt eine sehr gefährliche Situation vor dem Kickerstor; erst auf der Linie wird der Ball begannt. Ein scharfer Schuß Trägs endet am Kopf eines Stuttgarter Veteidigers; Götz hält einen Ball Köpplingers. Andererseits macht der rasch zurückgegangene Köpplinger die dritte Ecke Stuttgarts unschädlich. Sowohl eine Flanke von Riegel wie auch eine Vorlage von Kalb schießt Träg mit großem Pech knapp über das Netz. Noch eine kleine Gefahr hat das Clubtor bei einer Wunderlich-Flanke zu überwinden, dann ertönt der Schlußpfiff. Der Club hat glücklich, aber infolge seiner größeren Kampfkraft doch verdient gewonnen.
(aus Deutsche Fußball-Zeitung, 2. Jahrgang, Nummer 9, 27.02.1925)