Reise in die Vereinsgeschichte: Das Lokalereignis: Kickers – V.f.B. 3:3

Nach dem lang ersehnten ersten Saisonsieg werde ich eine neue unregelmäßige Folge ins Leben rufen. Ich werde Bilder und Geschichten aus 109 Jahren Stuttgarter Kickers veröffentlichen.

Es wird nicht chronologisch ablaufen. Ich greife in den Fundus und werde die für mich in diesem Moment erzählenswertesten und zeigenswertesten historischen Momente unserer Blauen Götter präsentieren.
Tradition stirbt nicht. Dieser Satz entspricht bei unserem Verein der Wahrheit. Aber nicht, indem wir unsere Tradition bewahren und verwahren. Tradition stibt nicht, wenn wir aktiv die Zukunft unseres Vereins gestalten. Vom kleinsten Bambini bis zum Kapitän der ersten Fußballmannschaft, vom Fan bis zum Präsident: Unser Herz schlägt blau. Wir sind die Stuttgarter Kickers. Und wir alle sind Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit unseres Vereins.

Teil 1: Das Lokalereignis: Kickers – V.f.B. 3:3

Die Saison 1925/26 begann mit schlechten Vorzeichen. Im Vorjahr souveräner Württembergischer Bezirksmeister und Zweiter Süddeutscher Pokalsieger, ließen schon die Ergebnisse der Privatspiele nichts gutes ahnen. Der englische Trainer Edwin Dutton tat sich schwer, seine Abwehr auf die neue Abseitsregelung umzustellen. Anstatt wie davor drei, bestimmten nun zwei Spieler die Anwendung der Abseitsregel. Am Sonntag, den 27. September 1925, trafen die Stuttgarter Kickers auf den emporkommenden VfB Stuttgart. Dieses Lokalderby sollte in den Jahrzehnten danach an Bedeutung gewinnen.

Das Lokalereignis: Kickers – V.f.B. 3:3

Im richtigen Augenblick saust Meier dem allein durchgegangenen Maneval entgegen und boxt ihm den Ball vom Fuße weg
Im richtigen Augenblick saust Meier dem allein durchgegangenen Maneval entgegen und boxt ihm den Ball vom Fuße weg

Stuttgart hat wieder sein Lokalderby. Vor einigen Jahren waren es die Spiele Kickers – Sportklub, welche alle Gemüter erregten; dann gab es eine Zeit, in der keiner der Stuttgarter Vereine sich näher an Kickers heranmachen konnte, wenn auch von Zeit zu Zeit einmal die Kickers einmal in einem Ligaspiel den Kürzeren zogen. Unter ganz anderen Voraussetzungen ging diesmal das Spiel Kickers gegen V. f. B. vor. V. f. B. hatte einige ausgezeichnete Erfolge hinter sich, während die Kickers seit Anfang August eine magere Ausbeute zu verzeichnen hatten. Diese Tatsachen genügten, um dem erstmaligen Zusammentreffen der beiden Lokalgegner Derbycharakter zu geben. An allen Sportstammtischen der ganzen Stadt, gleichgültig von welchem Verein, wurde seit vierzehn Tagen über den vermutlichen Ausgang des Spieles debattiert, es wurde sehr viel auf einen Sieg des V. f. B. getippt, man bedauerte den armen Schiedsrichter, weil es bombensicher ein ganz scharfes Spiel geben werde, kurz, es lag Spannung in der Luft, die man vor einigen Jahren vor den Kämpfen Kickers – Sportklub erleben konnte.

Ein Erfolg dieser Spannung zeigte sich demnach sofort zugunsten der Kasse der Kickers. Der Platz war, wie man zu sagen pflegt, gerammelt vol, trotzdem eine halbe Stunde vor Beginn der zur Zeit übliche Regen einsetze. Hie Kickers, hie V. f. B., Vereinsfähnchen, Erwartung auf allen Gesichtern.

Die Leitung des Spieles war Herrn Sackenreuther von Nürnberg anvertraut, der mit Umsicht und Takt seines Amtes waltete.

Die Mannschaften standen: Kickers: Urban; Höschle, Nagel, C. Kurz, Niederbacher, E. Kurz, Weiler, Maneval, Siebert, Wolf, Wunderlich. V. f. B.: Maier, Vollmer, Dörtenbach, Böcklen, Blum, Gerlinger, Becker, Rutz, Heß, Glenk, Retter

Diesmal war ein Tor fällig. Wunderlich schießt einen Flankenball an den Pfosten und ins Tor. Umsonst sprang Meier, der V. f. B. Hüter
Diesmal war ein Tor fällig. Wunderlich schießt einen Flankenball an den Pfosten und ins Tor. Umsonst sprang Meier, der V. f. B. Hüter

Wer eine Sensation erwartete kam nicht auf seine Rechnung. Selten haben zwei so erbitterte Lokalrivalen in so vornehmen sportlichen Geist um die Punkte gerungen wie heute die Kickers und V. f. B. Auch das Publikum hielt sich von einigen nicht zu vermeidenden Intermezzos abgesehen, gut. Die Spannung, welche durch den Spielverlauf wachgehalten wurde, ließ die beiden Lager gar nicht an Ausfälle denken. 1:0 für Kickers, 1:1. Halbzeit, 2:1 für V. f. B., 2:2 eine Minute darauf 3:2 für V. f. B. und schließlich der Ausgleich, ein solcher Verlauf des Kampfes mußte die Zuschauer im Bann halten.

Beide Mannschaften wußen, um was es geht, da gab es kein Unterschätzen des Gegners. Jede Mannschaft gab aus sich heraus, was möglich war. Vom Anspiel ab ein unheimliches Tempo, dann ein leichtes Geplänkel, um neue Kräfte sammeln zu können, und schon sieht man wieder die V. f. B.-Stürmer mit der ihnen innegewohnten Schnelligkeit dem gegnerischen Tore zueilen, kann man wieder die präzise Kombination der Kickersmannschaft mit schnellen Angriffen des linken Flügels und den genauen Wunderlich-Flanken bewundern.

Wie sich die Punkte verteilten, so verteilt sich auch Vor- und Nachteil auf dem Spielfeld. Einem Drängen der einen Mannschaft folgt ein Drängen der anderen Mannschaft, augelassenen Torgelegenheiten der Kickers folgen ebenso prompf unausgenutzte Gelegenheiten der Bewegungsspieler, und um das Bild voll zu machen, auf beiden Seiten wurde ein Tor dadurch erzielte, daß die Torwächter einen bereits gefangenen Ball entgleiten ließen.

Weiler (rechts) ist zwar gut durchgekommen und schießt schön - aber zu spät. Der V. f. B. Verteidiger kann den scharfen Schuß ablenken
Weiler (rechts) ist zwar gut durchgekommen und schießt schön - aber zu spät. Der V. f. B. Verteidiger kann den scharfen Schuß ablenken

Kickers und V. f. B. haben sich nie miteinander vergleichen lassen, man wird sie auch nie miteinander vergleichen können. Dazu sind die Systeme, welche in den beiden Mannscahften gepflegt werden, seit Jahren gepflegt werden, viel zu verschieden. Diese Verschiedenartigkeit ist in der Tradition, in der ARt, wie die Jugend aufgezogen wird un in der Veranlagung der Spieler begründet. Vorteile und Nachteile des einen Systems können durch das Plus und Minus des anderen Systems aufgewogen werden. Nicht das System siegt schließlich, sondern es siegt diejenige Mannschaft, welche ihr System am besten beherrschaft und dasselbe zur Durchführung bringen kann.

Heute haben sich Vorteile und Nachteile der Systeme, welche von den beiden Gegnern gepflegt werden, ausgeglichen. Der unbedingten Überlegenheit der Bewegungsspieler in Schnelligkeit, Startvermögen, und in dem steilen Durchspiel stand die solide Zusammenarbeit der Kickers, das größere Vermögen, den Ball im Besitz der Mannschaft zu halten und die größeren technischen Feinheiten gegenüber.

Der Ausgleich der beiderseitigen Leistungen ist verdient, in dem unentschiedenen Resultat zum Ausdruck gekommen. Man sah beim Verlassen des Platzes Zufriedenheit auf den Gesichertn beider Parteien, alle hatten das Gefühl, daß jeder der beiden Vereine seinen Punkt ehrlich verdient hat. Aber auch der Unbeteiligte war zufrieden, einmal weil das Spiel so nobel durchgeführt wurde, zum anderen weil das Spiel auf einer nicht unbedeutenden Höhe stand. Das Verhältnis der beiden Vereine ist durch das heutige Spiel sicher nicht getriübt worden, eher sollte man annehmen, daß das Spiel zu einer Besserung der Beziehungen beigetragen hat. Rivalität muß sein, aber die Rivalität muß darin bestehen, daß jeder Verein den anderen sportlich zu schlagen versucht, eine solche Rivalität wird auf beiden Seiten die sportliche Leistung in die Höhe treiben.

Maneval (rechts) köpft über den ebenfalls springenden V. f. B. Verteidiger hinweg aufs Tor
Maneval (rechts) köpft über den ebenfalls springenden V. f. B. Verteidiger hinweg aufs Tor

Im einzelen betrachtet, war bei Kickers jeder Spieler bis auf Wolf gut in Form. Die Hoffnungen, die man auf diesen von Südamerika zurückgekehrten alten Kickersspieler gesetzt hat, haben sich nicht verwirklicht. Schon in dem Privatspiel gegen den nicht allzu starken Ulmer FV 94 war seine Leistung ziemlich mäßig, heute gegen den starken Gegner fiel er vollständig aus. Im Sturm waren besonders gut die beiden Flügel. In der Läuferreihe überragte Niederbacher seine auch nicht schlechten Außenläufer, die sich wohl gut stellten und zuspielten, aber doch sehr oft von den schnellen gegnerischen Flügelstürmern überlaufen wurden. Die Verteidigung hatte eine schwere Aufgabe, der sich aber gewachsen war. Urban im Tor war sehr sicher, der eine foux pas ist auf den schlüpfrigen Boden und Ball zurückzuführen.

Der V. f. B.-Stum war durchweg gut, Retter verkorkste zwar manchen Ball, machte aber dann auch wieder schnelle Flügelläufe. Ganz ausgezeichnet Becker, der technisch glänzende Rutz hat sich bereits gut in den Sturm eingepaßt, seine Vorlagen sind vorbildlich, bei Heß vermißte man heute die sonst an ihm gewohnten Einzelgänge, er bediente aber seine Flügel gut. Blum war heute wieder der eifrige und zuverlässige Mittelläufer, und die beiden Flügelläufer wie die beiden Verteidiger standen ihm nicht viel nach, bedenklich unsicher war manchmal Maier im Tor, er stellte sich auch einige Male falsch.

(aus Fußball Nummer 39, 29.09.1929)

Die Kickers belegten am Ende einen enttäuschenden vierten Tabellenplatz. Der VfB Stuttgart Platz drei. Und damit waren die Kickers zum ersten Mal vom VfB Stuttgart in der Meisterschafts-Abschlußtabelle überholt.

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