Joe Bauer: Warum die Fußballzuschauer keine Rolle spielen

Null Respekt

Es war drei Stunden vor dem Anpfiff, als im Stuttgarter Westen ein einsamer Autofahrer seinen Wagen neben mir stoppte: „Scheff“, sagte er, „wo geht“s denn hier zum Weldouschdadion?“

Ein guter Mann, dachte ich, er ist für seinen Club auf der Straße, er fährt auf die Waldau zu den Kickers, und der Westen ist weit, von Dresden aus gesehen.

Nach der Aufholjagd des KSC zum 3:3 gegen Leverkusen sagte der Karlsruher Torschütze Antonio da Silva auf die Frage, wie er mit den jüngsten Pfiffen gegen ihn umgehe: „Es ist mir egal, was die Zuschauer von mir denken.“

Für dich, dachte ich, würde ich nicht mal von Stuttgart nach Cannstatt fahren. Und ich frage mich, welche Tipps die sogenannten Berater ihren Profis geben außer jenem, neben einem Porsche Cayenne auch gleich noch einen Privatjet zu finanzieren.

Von ihrem Publikum verstehen viele Spieler (und Trainer) so gut wie nichts. In Bielefeld rannte nach dem 0:2 gegen Gladbach Arminias erklärter Publikumsliebling Wichniarek an den Zaun und schiss die eigenen Fans zusammen. Und der große Münchner Bayern-Chef Rummenigge höhnte in Richtung Hoffenheim, wo denn die TSG die vergangenen 100 Jahre gewesen sei. Genau jene Hoffenheimer, die der Berliner Hertha am Sonntag einen Zuschauerrekord bescherten.

Diese Beispiele zeigen nur: Der Fan war und ist das unbedeutendste Wesen in unserem liebsten Spiel mit seinen vielen Großkotzen. Lustig in diesem Zusammenhang, dass ausgerechnet Rummenigges Verein einen „Arbeitskreis Fan-Forum“ mit 30 Fanclubchefs zur „Verbesserung der Stimmung im Stadion“ gegründet hat. Dieser Schritt war die Reaktion auf den Konflikt zwischen dem Manager Hoeneß und etlichen Fans bei der Jahresversammlung 2007 der Bayern. Vernünftig wäre inzwischen, den Umgang der Spieler, Trainer und Manager mit ihren Zuschauern generell infrage zu stellen.

Da man heute – viel später als in England oder Spanien – im traditionell unterhaltungsfeindlichen Deutschland erkannt hat, dass auch Fußball eine Sparte der Entertainment-Industrie ist, wäre es an der Zeit, Liga-Stars und -Regisseuren die Anstandsregeln für das Zusammenspiel mit ihrem Publikum beizubringen. Noch wäre es ratsam, den – finanziell gesehen – fast überflüssigen Statisten auf den Stadionrängen höflich zu dienen. Vor allem angesichts der Tatsache, dass üppige Fernsehgelder auch in Zukunft kaum ohne Fußvolk bezahlt werden dürften.

Wenn ein Spieler wie da Silva sagt, das Publikum sei ihm wurscht, dann gehört er in die Sonderschule zur Erlernung fundamentaler Rummelplatz-Gesetze. Solange Fußball von Menschen und nicht nur von Börsencomputern verfolgt wird, haben sich die Darsteller gefälligst mit Respekt vor ihren Kunden zu verneigen.

So gesehen wäre es besser, der VfB würde eine Bühne wie das Stuttgarter Theaterhaus künftig nicht nur für die provinzielle Vorstellung einer fragwürdigen Präsidenten-Biografie und die bevorstehende Weihnachtsfeier buchen. Spieler und Trainer könnten dort lernen, warum man im Showgeschäft außer Kontakt zu Tattoo-Studios auch ein hautnahes zum Publikum und viel Demut braucht.

Dieses Verständnis von kultureller Dienstleistung stellt auch nicht her, wer wie der VfB-Präsident Staudt mitten in der sportlichen Krise das Wildspezialitäten-Lokal Hegel Eins im Stuttgarter Linden-Museum für eine weitere „Buchpräsentation“ seiner dürftigen Bio-Kost (am 23. November) reserviert. Zu dieser Matinee mit B-prominenten Hirschlenden-Vips und „feinen Tropfen aus der Region“ eilen zwar der Ministerpräsident Oettinger und Staudts „Lieblingswinzer“ herbei. Der geneigte Fußballfreund aber fragt sich: Hat der VfB-Boss angesichts der Tabelle nichts Besseres zu tun?

Bei den Kickers, wo die Vereinsführung jahrzehntelang ihr Publikum dumm und arrogant behandelt hat, sah ich ergriffen zu, wie die Fans im Dresdner Block neunzig Minuten lang auf der Stelle hüpften und ihre Hälse in die Höhe reckten: Mann, dachte ich, die halten noch wie früher Ausschau nach dem guten Westen.

Stuttgarter Nachrichten

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