4:4 – was für ein verrücktes Derby

Stuttgart – Der Kickers-Trainer Edgar Schmitt hat nicht zu viel versprochen. Die Zuschauer sind Freitag Abend zufrieden nach Hause gegangen, kein Wunder nach so einem 4:4 (0:3) gegen den VfB Stuttgart II. „Ein Punkt für die Moral“, sagte Kapitän Alexander Rosen.

Die Stuttgarter Kickers hatten am Freitag ihre neuen Heim-Trikots mit den langen Ärmeln angezogen. Doch im Gazi-Stadion auf der Waldau wurde es niemand kalt, den Spielern nicht, und den 5875 Zuschauern erst recht nicht; das Derby gegen den VfB II hielt beim 4:4 (0:3) von der ersten bis zur letzten Minute alles, was Fußball so spannend macht. Wobei der Kickers-Manager Joachim Cast nach dem Schlusspfiff zugab: „Das Spiel war eigentlich schon dreimal verloren.“

Zumindest zweimal. Beim 0:3 zur Pause und beim Stande von 1:4 rund 20 Minuten vor dem Abpfiff. Doch die Kickers hatten das, was sie zuletzt in München (nur 3:3 nach 3:0) nicht hatten: das Glück des Tüchtigen. Nachdem Bashiru Gambo nach schöner Vorarbeit von Traut bereits auf 2:4 verkürzt hatte (74.), gelangen dem Tabellenletzten der dritten Liga in einer dramatischen Schlussphase innerhalb von zwei Minuten zwei weitere Treffer. Erst traf Angelo Vaccaro nach einem Eckball per Kopf zum Anschluss – und dann Alexander Rosen aus dem Gewühl heraus zum Ausgleich: „So ein Spiel habe ich in meiner nun zehnjährigen Laufbahn noch nicht erlebt“, gab der Kapitän hinterher zu – und sagte: „Das war ein Punkt für die Moral.“ Und zwar insofern, als die Kickers am Ende nun auch mal eine Partie zu ihren Gunsten umgebogen haben.

Danach sah es zur Pause ganz und gar nicht aus, als die Fans die Mannschaft mit Pfiffen in die Kabine begleiteten, in der der Trainer Edgar Schmitt gar nicht viel sagen musste, außer: „Ihr habt nichts mehr zu verlieren.“ Denn bereits nach acht Minuten waren die Kickers in Rückstand geraten, durch einen strammen Schuss des großen VfB-Talents Julian Schieber. Mein lieber Schieber, dachte da selbst Schmitt. Sein Kommentar: „Ein klasse Junge.“ Und klasse spielte der VfB weiter, auf ein Tor, das von Manuel Salz, der bis zur Pause einen höheren Rückstand als das 0:3 durch Treffer von Daniel Didavi und dem starken Clemens Walch bei dessen Debüt verhinderte. „Da haben wir naiv gespielt“, sagte der Kickers-Trainer und fügte hinzu: „Unsere Abwehr war auf Urlaub.“ Anders ausgedrückt: ein Defensivverhalten fand ebenso wenig statt wie ein Zweikampfverhalten – es brannte nicht nur im Block der Gästefans (bengalisches Feuer), sondern vor allem im Strafraum der Kickers lichterloh.

Der Kopfballtreffer von Marcus Mann nach dem ersten Eckball in der 52. Minute (!) brachte zwar Hoffnung, aber noch keinen Sturmlauf, und nach dem 1:4 durch Klauß gab selbst der sonst so optimistische Schmitt zu: „Da habe ich nicht mehr so recht an die Wende geglaubt.“ Seine Spieler offensichtlich schon, was dafür spricht, dass die Mannschaft intakt ist. Je länger das Spiel dauerte, desto mehr witterten die Kickers – mit dem Publikum im Rücken – ihre Chance, und der VfB-Trainer Rainer Adrion sagte später: „Was in der letzten Viertelstunde passiert ist, hat mich erschreckt.“ Im Gefühl des sicheren Sieges jedenfalls versuchte der VfB das Ergebnis über die Zeit zu bringen, was prompt schief ging. Adrion: „Wenn das Spiel noch zwei, drei Minuten länger gegangen wäre, hätten wir es wahrscheinlich verloren.“

Vielleicht ärgerte sich der Kollege Edgar Schmitt deshalb so über den pünktlichen Abpfiff des Schiedsrichters, dass er zunächst aufgebracht in die Kabine marschierte. Doch kurz darauf wechselte die Wut in Mut: „Wenn wir so weitermachen, bin ich überzeugt, dass wir den Klassenerhalt schaffen.“

Joachim Klumpp, Stuttgarter Zeitung

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