JOE BAUER: Himmelblau . . . und der Rest deines Lebens wird schön

Mit Fußball ins Bett zu gehen und mit Fußball aufzustehen, führt zu bedrohlichen Depressionen. Das passiert nach meinen Erfahrungen, wenn man am Abend beim „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF einschläft und sich am Morgen danach mit „Hattrick“ im DSF den Rest gibt.

Die Kunst, mit Fußball richtig umzugehen, bedeutet, Fußball in sein Leben richtig einzubetten. Das mag zunächst so klugscheißerisch klingen wie die Erkenntnis des DFB-Teammanagers Bierhoff, dass auf die Vergangenheit selbst dann die Gegenwart folgt, wenn man von der Zukunft keinen Schimmer hat.

Am vergangenen Samstag sah ich auf dem Fußballplatz das Nullnull der Stuttgarter Kickers gegen Elversberg in der dritten Liga. Beinahe hätte ich mit meiner Stadionwurst geworfen. Kurz darauf beschäftigte ich mich im Fernsehen mit der ersten Liga. Mitten in der „Sportschau“ den Nullnull-Unterhalter Beckmann vor Augen, wurde ich wütend: Ich zog meinen Mantel an, schlug die Haustür hinter mir zu und ging zur Show des famosen Berliner Unterhaltungsorchesters Die Ärzte, das unter dem Gütesiegel Punkrock seit Jahr und Tag frustrierte Menschen wieder auf die Beine bringt. Kaum hatte ich in der Sporthalle Platz genommen, um Fußball zu vergessen, sangen Die Ärzte: „Der Himmel ist blau / Und der Rest deines Lebens wird schön.“

Ich muss Ihnen nicht sagen, dass man die Kickers auch die Blauen nennt. In aller Form bitte ich darum, die Kolumne, die Sie gerade lesen, nicht als Beitrag zur Lage der Liga zu sehen, sondern als Bericht über die Schieflage des Lebens: Der zweite Ärzte-Song des Abends hieß „Scheitern“, der letzte „Zu spät“.

Am Nachmittag auf dem Kickersplatz hatte neben mir Jack, ein Londoner Arsenal-Fan auf Besuch in Stuttgart, die Blamage miterlebt. Als ich ihm zum Abschied den Rat gab, die nächsten Tage schönere Plätze der Stadt aufzusuchen als das Kickersstadion, sagte er, ohne einen Anflug von Humor: „Es war sehr schön hier. Das ist dein Club, egal, ob du unten bist oder oben.“ Okay, dachte ich, ein Fish-and-Chips-Mann bleibt ein Fish-and-Chips-Mann, egal, ob er bei der EM spielt oder nicht. Und womöglich haben die Engländer recht: Warum sollte man neuerdings zum Fußball nach Österreich reisen? Früher, wird der Motivationsguru Klinsmann den Engländern beibringen, hielten wir dort nicht einmal zum Tanken an.

Das erinnert mich an den „Hattrick“-Stammtisch des DSF vom Sonntag: Als in der Debatte um die deutsche Fußballerausbildung Hannovers Trainer Hekking voller Stolz erzählte, sein Team 96 habe mit acht Deutschen gespielt, konterte sein Kollege Lattek: „Sind Sie ausländerfeindlich?“

Der 14. Spieltag, dies zur Lage des Lebens, verlief eher langweilig. Hannover verlor mit seinen vielen Deutschen, der VfB gewann ohne seinen großen Türken, und die Bayern gewannen mit ihrem Weltweihnachtszirkus wie früher mitten in der Krise. So wundert es nicht, wenn alle weiter die Frage beschäftigte, ob der DFBManager Bierhoff ein Oberlehrer sei.

Barer Unsinn. Oberlehrer tragen nicht Maßanzüge, sondern Turnhosen, wenn sie bei ihrem Anspruch auf „brasilianische Spielweise“ ihre „Füße aus Malta“ in Flipflops verstecken. Auch das Argument des Leverkusener Sportdirektors Völler, Bierhoff dürfe den Spielbetrieb nicht kritisieren, weil er selbst kein großer Spieler gewesen sei, ist Humbug: Man kann ja dem Daimler-Chef Zetsche nicht vorwerfen, er habe keine Ahnung von der S-Klasse, weil er früher noch schlechter eingeparkt habe als die Frau seines Vorgängers Schrempp. Völler muss sich selbst an der Nase ziehen: Wie kann es sich ausgerechnet ein Mann mit Oberlippenbart herausnehmen, einen anderen Mann zu rasieren?

Zur besseren Einschätzung der Lage des Lebens tragen solche Diskussionen nicht bei. Ihr Motivationsschub fürs Publikum kommt an keinen Ärzte-Song heran. Man weiß ja nicht einmal, was zuletzt höheren argumentativen Wert besaß: Völlers Einwurf in den Intimbereich des Fußballtaktikers Bierhoff oder der Flug einer Schwarzwälder Kirschtorte in den Fünfmeterraum des Politstrategen Oettinger.

Stuttgarter Nachrichten

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