JOE BAUER: Unser Mann von Arsenal

Noch ein paar Strophen über das alte Lied von den Stuttgarter Kickers

Anfang der Saison 2006/07 stand ich, wie so oft in den vergangenen dreißig Jahren, im B-Block auf dem Fußballplatz und verdrängte den Gedanken, schon wieder lange wertvolle Stunden eines kurzen wertlosen Lebens zu verschwenden. Die Blauen spielten auf der schönen Waldau gegen den VfB II, es war ein gutes Spiel, und im Team der Roten aus dem Neckartal tanzte ein Spieler mit langen Haaren vor der VfB-Abwehr. Warum spielt der Kerl in der Holzklasse, dachte ich, und nicht bei Real Madrid?

Das Spiel ging unentschieden aus, und ich sagte zu meinem Kollegen, genannt George der Grieche: Siehst du, Regionalliga ist nicht so peinlich, wie du glaubst. Und denken Sie jetzt bloß nicht, ich sei ein Roter, weil ich noch weiß, wie der Langhaarige vom VfB vor der Abwehr tanzte. Fragen Sie meinen Freund George den Griechen, er ist in der Redaktion für Mord und Totschlag zuständig und geht zu den Blauen, seit er laufen kann.

Meistens stehe ich neben ihm. Einmal hat er während des Spiels drei Tüten Fisherman“s Friends gelutscht und keine einzige Filterlose geraucht. Er hat behauptet, Verzicht auf den Rängen helfe der Kondition auf dem Rasen. Wir haben verloren. Und wir gingen wieder zum Spiel.

Das nächste Heimspiel gegen das große Elversberg wird unser wichtigstes des Jahres: George lässt extra seinen Schwager Jack einfliegen. Nach der vermasselten Nichtraucher-Nummer ist er unsere letzte Hoffnung. Schwager Jack ist Engländer, Fan von Arsenal London, und diesmal muss der Trick funktionieren. Im Namen der Königin von England: Wir werden siegen. Wer zum Teufel weiß denn noch, dass sich die ruhmreichen Kickers einst die Gunners zum Vorbild nahmen? Dass die alte, längst abgerissene Holztribüne unterm Fernsehturm ein korrekter Nachbau der Arsenal-Tribüne war?

Wir hatten mal einen Club mit Stil. Und zwar bevor wir gleich zweimal in der Bundesliga an- und abgetreten sind. Damals, als die Kickers-Chefs nichts Dümmeres zu tun hatten, als sich mit den Roten im gemeinsam bespielten Neckarstadion um Kabinen und VIP-Plätze zu prügeln. Anstatt der Welt zu zeigen: Seht her, dort sind die großen Roten und hier die kleinen Blauen, und das Neckartal ist klein und die Waldau groß. Und die guten Piraten verkehren in Degerloch – schöne Grüße nach St. Pauli im schönen Hamburg, es lebe der kleine Unterschied.

Aber wem helfen die alten Lieder. Der Altstadt- und Kickers-Musikant Kotlett, der auch auf der Reeperbahn eine große Nummer geworden wäre, ist auch bald zwanzig Jahre tot. Gut, dass wenigstens noch George der Grieche die lustigsten Zeilen unserer entsetzlichen Hymne singen kann: „Wenn die Kickers auf dem Rasen / Hier daheim und anderswo / Wie ein Mann zum Angriff blasen / Dann ihr Leute klingt das so: Hey-A, Hey-A Kickers vor . . .“ (Text: Joachim „Blacky“ Fuchsberger / Musik Erwin Lehn).

Am 17. November spielen die Blauen im Neckartal bei den Roten, und die organisierten Kickers-Fans haben unter dem zweideutigen Motto „Talfahrt stoppen!“ zum Boykott aufgerufen. Man soll das Eintrittsgeld nicht zum VfB hinuntertragen, sondern lieber den Kickers spenden.

Wahrscheinlich gehe ich trotzdem über den Neckar zu den Roten, bevor die Kickers über den Jordan gehen. Vielleicht kommt auch George der Grieche mit.

Der Typ mit den langen Haaren ist mittlerweile Deutscher Meister, er heißt Khedira, und die katastrophal gemanagten Kickers spielen in Wahrheit nicht mehr gegen den VfB, sondern gegen den Pleitegeier. Kann gut sein, dass die Blauen schon bald beerdigt werden wie die alte Straßenbahn der Linie 15 hoch zum Fernsehturm. Dann gehen George der Grieche und ich in Zukunft zu Arsenal, und es wird sein, wie es niemals war.

Stuttgarter Nachrichten

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