Presse am Freitag – Versachlichung des Spielabbruchs

Ein Becherwurf und seine Folgen
 
Hertha zum Sieger erklärt – Kickers hoffen auf milde Strafe
 
STUTTGART. Der couragierte Auftritt der Stuttgarter Kickers im DFB-Pokal gegen Hertha BSC ist zur Nebensache geraten. Nach dem Spielabbruch beim Stand von 0:2 ist der Regionalligist um Schadensbegrenzung bemüht.

Von Joachim Klumpp

Nachdem Yildiray Bastürk am Mittwochabend eine Viertelstunde vor Schluss den Handelfmeter zum 2:0 für Hertha BSC verwandelt hatte, war die Chance der Stuttgarter Kickers in der zweiten Pokalrunde auf eine Verlängerung dahin. Dennoch wird die Partie ein Nachspiel haben – und das geht länger als die zweimal 15 Minuten auf dem Platz. Sehr zum Leidwesen des Fußball-Regionalligisten. Denn nachdem der Linienrichter Kai Voss in der 81. Minute von einem Bierbecher getroffen wurde „und nicht mehr in der Lage war, seine Tätigkeit auszuüben“, so der Zusatzbericht des Schiedsrichters Michael Weiner, brach der Unparteiische nach Rücksprache mit dem DFB-Beobachter die Partie ab. „Wenn das nicht geschehen wäre, hätte ich die Welt nicht verstanden“, erklärte gestern Schiedsrichter-Lehrwart Eugen Strigel.

„Eine Katastrophe“, so lautete der Tenor bei den Kickers, für die es nun um Schadensbegrenzung geht. „Den Imageverlust können wir nicht mehr rückgängig machen“, sagte der Präsident Hans Kullen nach einer unruhigen Nacht: „Aber wir müssen jetzt schauen, dass wir gerecht behandelt werden.“ Der Trainer Robin Dutt betont im diesem Zusammenhang: „Wir hoffen, dass wir vom DFB nicht allein gelassen werden, denn das ist kein Kickers-spezifisches Problem.“

Zumal die Fans in Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst letztendlich dafür sorgten, dass der Übeltäter sofort identifiziert werden konnte. Es handelt sich um einen 38-Jährigen aus dem Raum Stuttgart, der – allerdings vor 15 Jahren – der Hooliganszene zugeordnet wurde und nun wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt werden soll. Ob mögliche zivilrechtliche Regressforderungen der Kickers in diesem Fall von Erfolg gekrönt sind, erscheint fraglich.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Kickers erst vor ein paar Wochen in der Regionalligapartie gegen den 1. FC Saarbrücken nach Ausschreitungen von – wohlgemerkt – Gästeanhängern zu 3000 Euro Strafe verurteilt worden waren. Bei dieser Summe wird es in diesem Fall nicht bleiben, ein (höherer) fünfstelliger Betrag droht, was ein Teil der rund 150 000 Euro Nettoeinnahme, die die Partie brachte, wieder auffressen wird. Selbst eine Platzsperre scheint nicht ganz ausgeschlossen, auch wenn der Hertha-Manager Dieter Hoeneß eingeräumt hat, dass den Klub keine Schuld treffe. Der von den Kickers beauftrage Anwalt Christoph Schickhardt sagt: „Es handelt sich um ein schwer wiegendes Vergehen.“ Und auch die Statuten lassen keine Interpretation zu: Der Platzverein ist für eine einwandfreie Abwicklung des Spiels verantwortlich, steht in Paragraf 20 der Durchführungsbestimmungen.

Unabhängig davon haben sich die Kickers bereits gestern Morgen mit dem zuständigen Sicherheitsdienst zusammengesetzt, um solche Vorfälle „nach menschlichem Ermessen künftig auszuschließen“, wie es Kullen formuliert – wohl wissend, dass es eine absolute Garantie diesbezüglich nicht geben kann, schon gar nicht in einem reinen Fußballstadion wie dem auf der Waldau. „Ich bin aber überzeugt, dass unsere Fans die Zeichen der Zeit erkannt haben.“ Was Kullen gar nicht gefiel, waren die „Hoyzer“-Sprechchöre auf den Rängen, die sich negativ auf den Gesamteindruck ausgewirkt haben.

Wobei selbst Hoeneß zugab: „Der Schiedsrichter hat sich das Leben selbst schwer gemacht.“ Mit einigen umstrittenen Entscheidungen wie dem Platzverweis gegen Moritz Steinle kurz vor der Pause wegen einer Notbremse, für die es eine Sperre von zwei Pokalspielen gab. „Obwohl Steinle den Ball gespielt hat, mache ich dem Schiedsrichter keinen Vorwurf“, sagt Dutt, „ich verstehe nur nicht, dass er bei so einer Szene nicht kurz mit den Linienrichtern Rücksprache hält.“

Nach einer Rücksprache mit den beiden Vereinen hat das DFB-Sportgericht durch den Vorsitzender Rainer Koch gestern die Partie mit 2:0 für Hertha gewertet. Da die Kickers bereits einen Rechtsmittelverzicht erklärt haben, ist das Urteil rechtskräftig – und Berlin im Achtelfinale. Unabhängig davon haben die Stuttgarter Kickers Gelegenheit, bis zum Montag zum Sonderbericht des Schiedsrichters Stellung zu nehmen. Anschließend wird der DFB-Kontrollausschuss über eine mögliche Anklageerhebung entscheiden. Das Urteil über das Strafmaß wird dann im Laufe der nächsten Woche erwartet. „Wir werden den Fall mit Ruhe angehen“, sagt Schickhardt.

Zunächst wird die Regionalligapartie am Sonntag gegen den SV Wehen unter verstärkten Sicherheitsvorkehrungen durchgeführt. Besitzer ermäßigter Karten aus dem Hertha-Spiel haben freien Eintritt – und die Chance zur Rehabilitierung. Der Unparteiische Michael Weiner indes hat als Zeichen der Entschuldigung einen Blumenstrauß von den Kickers bekommen – und eine Pause im Fußball. Turnusgemäß. „Das hat nichts mit den Vorkommnissen vom Mittwoch zu tun“, betont sein Chef Eugen Strigel.

Stuttgarter Zeitung

„Dann wäre Fußball tot“
 
Nachgefragt beim Fanforscher
 
Gunter A. Pilz (61) ist Deutschlands bekanntester Fanforscher und ordnet den Bierbecherwurf beim Pokalspiel der Kickers gegen Hertha BSC ein. „Am Tag zuvor sind in Dortmund sogar Funktionäre aus der Rolle gefallen, aber das hat keinen interessiert“, sagt Pilz im Gespräch mit Thomas Haid.

Herr Pilz, was wäre geschehen, wenn der Becher den Linienrichter verfehlt hätte?

Nicht viel. Das Spiel wäre weitergegangen. Die Kickers wären vom DFB bestraft worden, aber Aufsehen hätte das nicht erregt.

So wenig wie die Ausschreitungen einen Tag zuvor in Dortmund, wo der Schiedsrichter nach der Partie gegen Hannover attackiert worden ist.

In Dortmund sind sogar Funktionäre in übelster Weise aus der Rolle gefallen. Aber das hat keinen interessiert und wurde nirgends thematisiert. Offensichtlich ist es bei uns so, dass man solche Emotionen den Funktionären zubilligt – aber nicht den Fans.

Zudem dürfte es auch ein Unterschied sein, ob jemand einen Bierbecher wirft oder gezielt mit einem Messer oder einem Golfball in der Tasche ins Stadion kommt.

Natürlich kann man das nicht vergleichen. Der Mann bei den Kickers wollte einfach seinen Frust loswerden. Ein Vorsatz war da sicher nicht dabei. Aber klar ist auch, dass man das trotzdem nicht dulden darf. Der DFB wäre gut beraten, wenn er hart durchgreift – damit die Fans merken: hoppla, so weit können wir nicht gehen.

Sind die aufgeregten öffentlichen Reaktionen jetzt nicht auch ein Zeichen von Doppelmoral, weil alle Emotionen im Fußball wollen und dann empört sind, wenn es mal entgleist?

Ob da eine Doppelmoral dahintersteckt, weiß ich nicht. Aber fest steht, dass man Emotionen wünscht – und die entstehen in den neuen Stadien schneller als früher.

Wie kann man das in Grenzen halten?

Nur mit einem entsprechenden Ordnungspersonal. Daran krankt es bei uns. Wir bräuchten Leute, die gut geschult sind und ihre Sache ernst nehmen. Aber das ist dann wiederum eine Frage der Bezahlung.

Aber auch ein perfekter Ordner kann den Wurf eines Bierbechers kaum verhindern.

Doch. Denn die Hemmschwelle eines potenziellen Krawallmachers wird automatisch höher, wenn er während des Spiels 90 Minuten lang unter strenger Beobachtung steht.

Dann würde es zu keinen Zwischenfällen mehr kommen?

Hundertprozentig kann man das nie verhindern. Sonst müsste man die Emotionen aus dem Fußball nehmen – und dann wäre der Fußball tot.Stuttgarter Zeitung

Kickers ziehen ihre Lehren
 
Nach den Vorfällen gegen Hertha werden Sicherheitsmaßnahmen verstärkt
 
Stuttgart – Fußball-Regionalligist Stuttgarter Kickers hat auf den Spielabbruch gegen Hertha BSC Berlin reagiert: Die Blauen beschlossen ein Sofortpaket an Sicherheitsmaßnahmen. Nach dem Becherwurf eines Zuschauers stellen sich einige Fragen.

Wer hat den Becher geworfen?

Der Täter wurde noch am Mittwochabend identifiziert und vorübergehend festgenommen. Es handelt sich um einen 38-Jährigen mit festem Wohnsitz in Ostfildern. Der vorbestrafte Mann war laut Klaus-Peter Arand, dem Stuttgarter Polizeisprecher, früher in der Hooliganszene des VfB in Erscheinung getreten.

Wie laufen die Ermittlungen?

Da es sich um gefährliche Körperverletzung handelt, wurde die Tat von Amts wegen verfolgt und angezeigt. Der Vorgang geht an die Staatsanwaltschaft. Dort wird geprüft und Klage erhoben.

Wie wird das Spiel gewertet?

Das DFB-Sportgericht hat die Partie bereits mit 2:0 für Hertha BSC gewertet. Die Kickers haben Rechtsmittelverzicht erklärt, so dass das Urteil rechtskräftig ist.

Welche Strafe ist zu erwarten?

Der Sonderbericht des Schiedsrichters liegt vor. Bis zum Montag werden die Kickers ihre Stellungnahme an den DFB abgeben. Dann tagt der Kontrollausschuss. Die Höchststrafe für das schuldhafte Herbeiführen eines Spielabbruchs beträgt laut § 7 der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB 100 000 Euro. Dies ist auch die Obergrenze für den mangelnden Schutz des Schiedsrichters und seiner Assistenten. Theoretisch könnte der Vorfall die Kickers 200 000 Euro kosten. „Es handelt sich um einen schwer wiegenden Fall, wir hoffen, mit einem blauen Auge davonzukommen“, sagt Rechtsanwalt Christoph Schickhardt, der die Kickers bei dem zu erwartenden Sportgerichtsverfahren vertritt. Auch eine Platzsperre oder ein Spiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit sind möglich.

Sind Regressansprüche möglich?

Grundsätzlich ja. Hansa Rostock musste wegen zwei Flitzern 20 000 Euro Strafe zahlen. Nun erging ein Gerichtsurteil, in dem dem Zweitligisten das Recht zugesprochen wurde, das Geld von den betroffenen Zuschauern einzufordern.

Ist den Kickers ein Vorwurf zu machen?

Bedingt. Grundsätzlich könnte der eine oder andere Ordner besser geschult sein. Auch die Kontrollen im Eingangsbereich sind verbesserungswürdig. Hinzu kommt: Der Sicherheitsdienst wechselte in den vergangenen Jahren – auch im Zuge der Sparmaßnahmen -, und zeigte sich bei den Vorfällen vergangenen September im Spiel gegen den 1. FC Saarbrücken hilflos. Andererseits ist es schwierig, gegen die kriminelle Energie von Einzeltätern anzukämpfen.

Wie reagieren die Kickers?

Schiriassistent Kai Voss bekam einen Entschuldigungsbrief samt Blumenstrauß zugeschickt. Gegen den Täter wollen die Kickers zivilrechtlich vorgehen. Außerdem beschlossen die Kickers ein Paket zur Verbesserung der Sicherheitsmaßnahmen, die bereits am Sonntag im Spiel gegen den SV Wehen greifen sollen. Zum Beispiel wird der Ordnungsdienst verstärkt, ein noch engerer Kontakt zu den Fan-Beauftragten gesucht, und Getränke sollen nur noch in Papp- statt Plastikbechern ausgegeben werden.Jürgen Frey

Stuttgarter Nachrichten

„Kultur im Stadion muss sich ändern“
 
Schiri-Beobachter Buchhart
 
Stuttgart (jüf) – Am Tag nach dem Skandalspiel bei den Stuttgarter Kickers ging Michael Weiner auf Tauchstation: Der Schiedsrichter war genauso wenig wie sein von einem Plastikbecher getroffener Assistent Kai Voss zu erreichen. Rede und Antwort stand dagegen Winfried Buchhart. Der Schiedsrichterbeobachter aus Schrobenhausen hatte den Spielabbruch zusammen mit Weiner beschlossen. „Wenn so etwas passiert, muss Schluss sein“, stellte Buchhart auch mit etwas Abstand klar. Den Kickers machte er für den Vorfall keinen Vorwurf: „Man kann nicht neben jeden Zuschauer einen Ordner stellen“, sagte der 48-Jährige. Auch ein engmaschiges Netz rund ums Spielfeld hält er für keine Lösung. Seiner Meinung nach müsse sich die Kultur im Stadion ändern: „Ein Mensch, der so etwas macht, muss in einer Gruppe out sein.“

Eine Empfehlung gab Buchhart speziell an die Adresse der Kickers: Teile des Ordnungspersonals müssten besser geschult werden. Als er in der Halbzeit zu Weiner in die Kabine wollte, wurde ihm zunächst der Zugang verwehrt. „Es hat mehrere Anläufe gebraucht, um mit meinen Ausweisen, die einem im Normalfall alle Türen öffnen, reinzukommen“, ärgerte sich Buchhart. „Das kann nicht der Anspruch der Kickers sein.“

Stuttgarter Nachrichten

Fortsetzung einer traurigen Tradition
 
Immer wieder Wurfgeschosse
 
Traurig, aber wahr: Vorfälle wie der Becherwurf am Mittwoch im Pokalspiel der Stuttgarter Kickers gegen Hertha BSC Berlin haben Tradition im deutschen Fußball:

20. Oktober 1971: Im Europacup der Landesmeister gewann Borussia Mönchengladbach gegen Inter Mailand 7:1. Doch Inter-Spieler Roberto Boninsegna wurde von einer Büchse am Kopf getroffen. Das Wiederholungsspiel in Berlin endete 0:0.

27. November 1976: Nach Flaschenwürfen wurde die Bundesliga-Partie zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und Fortuna Düsseldorf beim Stande von 0:1 abgebrochen. Die Begegnung wurde 0:2 gewertet.

19. November 1988: Der Karlsruher SC siegte gegen Mönchengladbach 3:1. Weil aber Christian Hochstätter von einem Feuerzeug am Kopf getroffen wurde, kam es zur Neuauflage, die in Heilbronn 2:2 endete.

11. September 1993: Im DFB-Pokalspiel in Mönchengladbach wurde Oliver Kahn, damals im Trikot des Karlsruher SC, von einer Kastanie getroffen. Der KSC verlor in der Verlängerung – erreichte aber ein Wiederholungsspiel, das Gladbach 1:0 gewann.

12. April 2000: Ein Golfball traf Bayern-Torhüter Oliver Kahn im Bundesliga-Spiel beim SC Freiburg am Kopf. Die Partie wurde fortgesetzt, der SC musste eine Geldstrafe in Höhe von 75 000 Mark zahlen. StN

Stuttgarter Nachrichten

DFB erklärt Hertha BSC zum 2:0-Sieger
Schnelles Urteil nach dem Spielabbruch bei den Stuttgarter Kickers – Berliner nun Mitfavorit im Pokalwettbewerb
Von Uwe Bremer und Sebastian Schlichting

Malik Fathi staunte auch eine Nacht danach noch. „Ich habe zur Seite geschaut, und irgendwer hat da gefehlt. Ich habe noch mal geschaut, da lag der Linienrichter flach am Boden. Im ersten Moment dachte ich, der hat einen Schwächeanfall.“ Der Profi von Hertha BSC trabte mit seinem Stuttgarter Gegenspieler Nico Kanitz zur Seitenlinie, um Schiedsrichterassistent Kai Voss (Großhansdorf) aufzuhelfen. Doch der war schwer benommen, ein gefüllter Plastikbecher hatte ihn an der Halsschlagader getroffen.

Immerhin konnte Eugen Strigl, der Schiedsrichter-Lehrwart, gestern Entwarnung geben. Es gehe Voss wieder besser, er habe seine Heimreise am Donnerstagmorgen selbstständig angetreten.

Für Hertha BSC kam die zweite gute Nachricht des Tages am Abend. Das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes wertete die nach dem Becherwurf abgebrochene Zweitrunden-Partie des Pokals bei den Stuttgartern Kickers im Einzelrichter-Verfahren als 2:0-Sieg für den Bundesligisten. Das entsprach nach den Toren von Solomon Okoronkwo (58.) und Yildiray Bastürk (74./Handelfmeter) ohnehin dem Spielstand. Die Stuttgarter Kickers haben bereits Rechtsmittelverzicht erklärt, so dass das Urteil rechtskräftig ist und Hertha BSC im Achtelfinale des DFB-Pokalwettbewerbs steht.

Das Strafmaß für den gastgebenden Drittligisten, aus dessen Fanreihen der verhängnisvolle Wurf erfolgte, wird in den nächsten Tagen bekannt gegeben. Die Kickers müssen mit einer Platzsperre und einer Geldstrafe rechnen. Bereits am 16. September war die Partie des Drittligisten gegen den 1. FC Saarbrücken zweimal unterbrochen worden, weil Gegenstände auf das Spielfeld geflogen waren.

Der Täter, der im Gazi-Stadion festgenommen worden war, wurde bereits am Mittwoch wieder freigelassen. Er ist 38 Jahre alt, gehörte früher der Hooligan-Szene an und ist vorbestraft. Ihn erwartet eine Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung. Zudem werden die Kickers den Täter belangen. „Wir machen ihn regresspflichtig“, kündigte Stuttgarts Trainer Robin Dutt an, „aber wahrscheinlich ist nicht viel zu holen.“

In Berlin war Herthas erster Spielabbruch seit Ewigkeiten auch gestern das Gesprächsthema. „Ich habe bei meinen Bekannten in Ungarn immer von der tollen Fußballkultur in Deutschland geschwärmt, aber da werde ich nun einiges zu hören bekommen“, erzählte Mittelfeldspieler Pal Dardai.

Einen Wunschgegner für das Pokal-Achtelfinale (19./20. Dezember) gibt es nicht. Bei der Auslosung am Sonntag im Rahmen der ARD-Sportschau (18 Uhr) wünschen sich die Verantwortlichen aber ein Heimspiel. Klar ist, dass Hertha BSC mit Blick auf die vielen prominenten Ausfälle in diesem Wettbewerb neben Titelverteidiger FC Bayern und dem VfB Stuttgart zu den Favoriten des diesjährigen Wettbewerbs aufgestiegen ist.

Doch zuvor erwartet die Berliner morgen ein Bundesliga-Spiel in ähnlicher Atmosphäre wie in Stuttgart-Degerloch. Um 15.30 Uhr geht es am neunten Spieltag zu Energie Cottbus.

„Die Qualität des Gegners ist höher als bei den Kickers, aber ich erwarte dort eine emotionale Partie mit einer fanatischen Kulisse“, sagte Hertha-Manager Dieter Hoeneß. Das Nordost-Derby im Stadion der Freundschaft (22 450 Plätze) ist ausverkauft. „Das wird eine hektische, aggressive Stimmung, wie wir sie in Stuttgart hatten“, sagte Kapitän Arne Friedrich. Doch der zweite Sieg binnen vier Tagen – vergangenen Samstag gab es gegen Borussia Mönchengladbach ein 2:1 – gibt Zuversicht. Falko Götz: „Die Woche hat gut begonnen, in Cottbus wollen wir sie mit einem Sieg abrunden.“

Berliner Morgenpost

Fußball „Becherwurf-Skandal“ um Kai Voss aus Großhansdorf
Stormarns Schiedsrichter empört
Dem 32-Jährigen geht es nach dem K. o. im DFB-Pokalspiel zwischen den Stuttgarter Kickers und Hertha BSC wieder gut.
Von Sören Bachmann

Großhansdorf –
Der Becherwurf von Stuttgart hat unter Stormarns Fußball-Schiedsrichtern für große Empörung gesorgt. Am Mittwoch war ihr Großhansdorfer Kollege Kai Voss (FG Stormarn 2000) während des abgebrochenen DFB-Pokalspiels zwischen den Stuttgarter Kickers und Hertha BSC Berlin von einem Zuschauer mit einem vollen Hartplastikbecher im Nacken getroffen worden und ohnmächtig zu Boden gefallen. Der 32-Jährige musste vor Ort medizinisch behandelt werden, trug aber keine ernsten Verletzungen davon und konnte nach Angaben von DFB-Schiedsrichter-Lehrwart Eugen Striegel gestern allein nach Hause fahren.

„Das ist eine Sauerei, was da passiert ist“, sagt Schiedsrichter-Urgestein Klaus Unger vom SV Siek. „Hoffentlich wird der Werfer hart bestraft.“ Auch gegen den Verein fordert er Sanktionen: „Ich rechne mit drei Spielen ohne Zuschauer“, so Unger.

Marco Hecht aus Bargteheide, der es als Schiedsrichter bis in die vierte Liga schaffte, hat selbst schon eine Partie abgebrochen. „Da wurde ich von einem Spieler bespuckt“, erklärt er. Über vergleichbare Vorfälle wie den in Stuttgart mache er sich im Amateurbereich aber keine Gedanken: „In den unteren Klassen eskaliert es meistens nicht so.“

Gewalt bei Amateurspielen, sagt auch Schiedsrichter Ulf Mersiowsky (SV Timmerhorn-Bünningstedt), gehe eher selten von Zuschauern aus: „Die größere Gefahr sind die Spieler.“ Deshalb hätten schon mehrere Kollegen die Pfeife an den Nagel gehängt. „Ich glaube aber nicht, dass Kai aufhört. Dennoch wird ihn die Sache sicher nachdenklich stimmen“, meint Mersiowsky.

Schärfere Sicherheitsmaßnahmen sind ungeeignet, um solche Vorfälle in Zukunft zu verhindern, glaubt Hecht: „Ich denke, dass die Vereine gefordert sind, mit Stadionverboten hart gegen solche Leute durchzugreifen. Erwischt wird dank Kameraüberwachung sowieso fast jeder“, so der Polizist.

Voss war vor sechs Jahren in die Zweite Bundesliga aufgestiegen, seit drei Jahren wird er im Profibereich ausschließlich als Assistent eingesetzt, auch international. Er selbst wollte sich zu den Vorfällen nicht äußern – es handele sich um ein schwebendes Verfahren.

Hamburger Abendblatt

Beispielhaft
VON REINHARD SOGL

Das Gute vorweg: Es ist ein löblicher Akt von Zivilcourage und hat rein gar nichts mit Denunziantentum zu tun, dass Fans der Stuttgarter Kickers der Polizei die entscheidenden Hinweise gaben, die zur schnellen Festnahme jenes Mannes führten, der mit dem gezielten Wurf eines gefüllten Hartplastikbechers gegen den Linienrichter für den Skandal der zweiten Runde im DFB-Pokal sorgte. Die in solchen Fällen von Hooliganismus oft praktizierte Wagenburgmentalität hatte keine Chance, weil verantwortungsbewusste Zuschauer beispielhaft handelten. Die jahrelange Aufklärungsarbeit von Verbänden und Fanprojekten, vielleicht auch die rigorose Bestrafung der in solchen Fällen ihrer Verantwortung offiziell nur unzureichend nachgekommenen Heimmannschaft, scheint Wirkung gezeigt zu haben. Als Kavaliersdelikt wird derartiges Rowdytum von der Mehrzahl der Fans nicht mehr sanktioniert. Die Botschaft, die von Degerloch ausgeht, lautet: Kein Krawallbruder darf sich seiner Anonymität in der Masse Mensch mehr sicher sein, er wird für seine Taten büßen müssen.

Leider, und das ist die betrübliche Erkenntnis des zurecht abgebrochenen Pokalkampfs nach dem Knockout des Linienrichters, gibt es aber immer noch genug so genannte Fans, die sich als unbelehrbar erweisen. Ihre latente Gewaltbereitschaft drückt sich bei den wenigsten in körperverletzenden Taten aus, sondern sie missachten den Geist von Fairplay mit diskriminierenden Worten. Das regungslos am Boden liegende Opfer lautstark als „Hoyzer“ zu verunglimpfen, ist das Gegenteil von Einfallsreichtum. Bis zu rassistischen Ausfällen, wie sie erst unlängst zur Spielunterbrechung bei der Bundesligapartie Aachen gegen Mönchengladbach zu hören waren, ist es dann nicht mehr weit.

Was also tun? Weitere Aufklärung tut Not. In der Fußballszene und der Gesellschaft, damit im Eifer des oder der Kicks die Menschenwürde nicht mit Füßen getreten wird. Was dennoch nicht verhindern wird, dass auch in Zukunft „Wahnsinnige“ (Hertha-Manager Dieter Hoeneß) in Verletzungsabsicht mit Gegenständen werfen; aber das Risiko wird minimiert.

Frankfurter Rundschau

Interview mit Dieter Hoeneß

„Im Kampf gegen die Chaoten muss jeder Fan helfen!“

Berlin – Hertha-Manager Dieter Hoeneß fordert die ganze Härte des Gesetzes gegen den Hooligan, der den Spielabbruch der Pokal-Partie provozierte. Mit Hoeneß sprach KURIER-Sportchef Andreas Lorenz. 

 

?Herr Hoeneß, können Sie sich über den Sieg in Stuttgart überhaupt freuen?

!Ich kann den Fußball und die üble Sache schon trennen. Das ist eine Tat eines Durchgeknallten, die mit der Pokal-Atmosphäre und den beiden Vereinen nichts zu tun hat.

?Sie haben also Mitleid mit den Kickers?

!Auf jeden Fall. Da ist ein Verein, der sich wieder nach oben entwickeln will. Und dann passiert etwas, was diesen Klub wieder zurückwirft.

?Die Kickers wollen den Hooligan auf Schadenersatz verklagen.

!Und ich hoffe, dass der Richter mit der ganzen Härte des Gesetzes dieser Klage entspricht. Es wird nicht alle Chaoten abschrecken, wenn mal einer 20 000 oder 30 000 Euro zahlen müsste. Aber insgesamt hilft es garantiert.

?Sie sind seit Jahrzehnten mitten im Fußballgeschäft. Nehmen die Ausraster zu?

!Nein. Ich glaube, dass das im Profi-Fußball sogar abgenommen hat. Trotz der Verrohung unserer Gesellschaft, der die Werte immer mehr abhanden kommen. Der Fußball hält sich da insgesamt gut, weil jeder Verein extreme Sicherheitsmaßnahmen durchführt. Bis hin zur Personen-Durchsuchung wie vor einer Flugreise.

?Aber es ist doch positiv, dass Kickers-Fans auf der Tribüne bei der Festnahme des Hools mitgeholfen haben.

!Das stimmt. Und das zeigt auch den richtigen Weg. Im Kampf gegen die Chaoten muss jeder einzelne echte Fan mithelfen.

Berliner Kurier

SICHERHEIT IM STADION

Per Gerichtsbeschluss ins Achtelfinale

Michael Kölmel und Michael Jahn

STUTTGART/BERLIN. Falko Götz war am Donnerstag ein viel gefragter Mann. Schließlich hatte der Fußballtrainer von Hertha BSC einst als Profi einige Zeit in der Türkei verbracht – bei Galatasaray Istanbul. Und dort sei es doch sicher ähnlich hektisch und fanatisch zugegangen – mutmaßten jedenfalls zahlreiche Journalisten – wie am Mittwochabend im abgebrochenen DFB-Pokalspiel der Berliner beim Regionalligisten Stuttgarter Kickers. „Ich habe damals in Istanbul einiges durchgemacht“, sagte Götz, „hitzige Stimmung mit Raketen von den Rängen und sogar Angriffe auf den Mannschaftsbus, aber einen Spielabbruch habe ich vor Stuttgart in meiner Karriere noch nicht erlebt.“

Auch für den Berliner Trainer bedeuteten also die Ereignisse im Stuttgarter Stadtteil Degerloch ein Novum. Angriffe aus den Zuschauerrängen gab es im Profifußball öfter, ein vorzeitiges Ende wegen eines verletzten Linienrichters aber noch nie. Das DFB-Sportgericht und der Kontrollausschuss hatten am Donnerstagmorgen ihre Ermittlungen aufgenommen. Noch am selben Abend teilte der DFB mit, dass das Spiel mit 2:0 für Hertha BSC gewertet wird. Die Stuttgarter Kickers verzichteten auf Rechtsmittel, so dass das Urteil rechtskräftig ist und Hertha im Achtelfinale des DFB-Pokals steht. Den Kickers droht zudem eine Geldstrafe und eine Platzsperre. Bis Anfang kommender Woche hat der Klub aber noch die Gelegenheit, zum Sonderbericht des Schiedsrichters Stellung zu nehmen.

Das Spiel war in aufgeheizter Atmosphäre mit zwei Platzverweisen für Moritz Steinle (Kickers/Notbremse/44.) und Ellery Cairo (Hertha/Tätlichkeit/63.) nach 86 Minuten abgebrochen worden, weil Schiedsrichter-Assistent Kai Voss von einem Hartplastikbecher im Nacken getroffen wurde, der aus dem Block der Kickers geworfen worden war. Voss war einige Momente ohne Bewusstsein und musste in die Kabine gebracht werden. Hertha BSC führte zum Zeitpunkt des Abbruchs nach Treffern von Solomon Okoronkwo (58.) und Yildiray Bastürk (74./Strafstoß) mit 2:0. Der Täter, ein 38-jähriger Stuttgarter, war den Behörden bereits als gewaltbereiter Hooligan bekannt. Er sei im Umfeld des Lokalrivalen VfB Stuttgart vor zehn oder 15 Jahren straffällig geworden, sagte ein Polizeisprecher. Der Mann war unmittelbar nach dem Spielabbruch verhaftet und nach Feststellung der Personalien wieder entlassen worden. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen gefährlicher Körperverletzung.

Am Donnerstag wurde auch bekannt, das der getroffene Linienrichter Voss nicht ins Krankenhaus gebracht werden musste, wie befürchtet worden war. Er konnte nach Angaben von Schiedsrichter-Lehrwart Eugen Strigel selbst nach Hause fahren. Strigel sagte: „Referee Michael Weiner hat absolut korrekt gehandelt. Wenn das Spiel nicht abgebrochen worden wäre, hätte ich die Welt nicht verstanden.“ Für sämtliche Beteiligte war bereits Mittwochnacht klar gewesen, dass das Spiel mit 2:0 für Hertha BSC gewertet werden würde. „Es war eine eindeutige Angelegenheit“, sagte Schiedsrichter Weiner, „weil das Wurfgeschoss von der Kickers-Tribüne kam.“

Lebenslanges Stadionverbot

Richter Koch hatte angekündigt, nach Eingang der Berichte des Referees und der beiden Klubs zügig über die Spielwertung zu entscheiden. Die Verantwortlichen der Stuttgarter Kickers erwarteten aber darüber hinaus noch harte Strafen. „Es tut uns außerordentlich leid. Das ist ein schlimmer Vorfall und ein schwarzer Tag für uns“, sagte Präsident Hans Kullen. Er kündigte zudem rechtliche Schritte gegen den Täter an und forderte ein lebenslanges Stadionverbot.

Herthas Manager Dieter Hoeneß sagte: „Die Atmosphäre in Stuttgart war sicherlich leidenschaftlich, aber ohne das schlimme Vorkommnis wäre das durchaus in Ordnung gewesen. Es war die Tat eines Einzelnen. Dagegen ist der Fußball nicht gefeit.“

Berliner Zeitung

Mehr Schutz

Michael Kölmel

Die Fernsehbilder gaben keinen Aufschluss: Hatte der Stuttgarter Moritz Steinle den Ball getroffen? Das Bein des Herthaners Marko Pantelic? Oder beides? Schiedsrichter Michael Weiner hatte in der 44. Minute des Pokalspiels zwischen den Stuttgarter Kickers und Hertha keine Superslowmotion, er zeigte Steinle die Rote Karte. Ob zurecht oder nicht, ob die Partie deshalb zu Gunsten von Hertha kippte – das kann niemand beurteilen.

Aber um Objektivität ging es den meisten Besuchern ohnehin nicht: Für sie waren die Sündenböcke ausgemacht: die Schiedsrichter. So geriet der Abend für die Unparteiischen zum Spießrutenlauf, der in der 84. Minute mit dem tätlichen Angriff auf den Assistenten Kai Voss seinen hässlichen Höhepunkt fand.

Es ist eindimensional, die Tat isoliert als die eines Spinners zu betrachten. Ebenso unzureichend ist die Sicht von Hertha- und Kickers-Funktionären, die in dem Vorfall nur ein gesellschaftliches Problem sehen, das dem Fußball aufgebürdet wird. Vom Handball oder Basketball sind solche Vorgänge hierzulande nicht bekannt, trotz krasser Fehlentscheidungen. Es ist traurige Tradition im Fußball, dass immer andere schuld sind – besonders gern der Mann mit der Pfeife. Nur die Beschimpfungen wechseln.

Die Tat in Stuttgart entsprang der dem Fußball eigenen, aufgeladenen Atmosphäre, in der Verunglimpfungen allgegenwärtig sind, auf den Rängen wie auf dem Rasen. Fußball dient vielen Zuschauern als Ventil, und zwar Zuschauern aller Schichten, wie Untersuchungen zeigen.

Die Tat von Stuttgart kann dies nicht rechtfertigen. Dennoch können Strafen allein, Videoüberwachung und mehr Stadionverbote das Klima nicht bessern. Der DFB steht vor einer titanischen Aufgabe. Ähnlich wie beim Rassismus muss er versuchen, Toleranz und Fairness zu fördern. Dass in Stuttgart einige Kickers-Fans die Attacke auf den Linienrichter nicht dulden wollten und den Täter anzeigten, gibt Hoffnung. Aber der DFB muss dafür sorgen, dass die Referees mehr Respekt und Schutz genießen. Da ist der Videobeweis überfällig – weil er viele strittige Situationen von vornherein entschärfen kann.

Berliner Zeitung

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