Die Pokalsensation Stuttgarter Kickers – Hamburger SV (4:3) in der Presse

Eventuelle Doppeleinträge am frühen Montag Morgen bitte ich zu entschuldigen, bei der Masse an Zeitungsartikeln verliere ich den Überblick!
Rache ist süß: Kickers schaffen die Sensation

Der Regionalliga-Tabellenführer schlägt den Hamburger SV nach Verlängerung – aber die schweren Spiele kommen jetzt erst in der Liga

STUTTGART. Die Stuttgarter Kickers haben wieder einmal Pokalgeschichte geschrieben. Und mit dem 4:3-Sieg nach Verlängerung gegen den Hamburger SV ist, ganz nebenbei, auch die verspätete Revanche für die Niederlage im Endspiel vor 19 Jahren geglückt.

Von Joachim Klumpp

Die Stuttgarter Kickers präsentierten am Samstag mit 10 500 Zuschauern nicht nur ein ausverkauftes Haus, sondern auch einen neuen Sponsor, eine so genannte Billigfluglinie. Zum Einstand gab es in der Halbzeit etliche Gutscheine zu gewinnen, 50 oder 100 Euro wert. Vielleicht für eine Reise nach Berlin. Im Mai 2007. Zum Pokalfinale. Mit den Kickers. Warum nicht? Schließlich skandierten die Fans auf den voll besetzten Rängen: „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin.“

Ein Slogan, der vor allem für die Phase nach dem frühen Doppelschlag durch Recep Yildiz und Christian Okpala innerhalb von 55 Sekunden zur 2:0-Führung Gültigkeit hatte, und dann nochmal in der Verlängerung, in die Yildiz die Kickers mit seinem nicht mehr für möglich gehaltenen Ausgleichstreffer in letzter Minute geschossen hatte, als der HSV gedanklich wohl schon beim Mittwochspiel gegen Arsenal war. „Wie könnt ihr euch den Sieg noch nehmen lassen?“ schimpfte der HSV-Trainer Thomas Doll in der Pause zur Verlängerung. Gute Frage. Vielleicht, weil die Kickers nie den Glauben an sich selbst aufgegeben haben, auch wenn Chancen nach dem 2:3-Halbzeitrückstand eher Mangelware blieben. „Man darf nicht vergessen, dass wir gegen einen Champions-League-Teilnehmer gespielt haben“, sagte der Trainer Robin Dutt später. „Aber das Spiel hat auch gezeigt, dass wir uns nicht einschüchtern lassen.“

Zumindest nicht solange die Kickers den unermüdlichen Mirnes Mesic haben, der nach der Pause auf die Spielmacherposition gerückt ist, damit Akcay im Verbund mit Hartmann das defensive Mittelfeld stärken konnte. Und in Laszlo Kanyuk warfen sie noch einen Spieler ins kalte Wasser, der in seinem ersten Pflichtspieleinsatz bewies, dass er eine absolute Verstärkung für die Kickers ist. Was er mit dem Ball machte, hatte Hand und Fuß, nicht von ungefähr holte er den Elfmeter heraus, den Okpala schließlich zum Siegtreffer verwandelte.

Gut also, dass Kanyuk dabei war, oder auch Oliver Stierle, der bereits nach einer halben Stunde sein Comeback feierte – beide Spieler dürften noch gebraucht werden. Denn Bashiru Gambo schied mit einer Leistenverletzung frühzeitig aus. Christian Okpala wiederum quälte sich angeschlagen über die letzten Minuten der Verlängerung.

Kein Wunder, dass Robin Dutt etwas sorgenvoll in die Zukunft blickt: „Ich hoffe, dass der Sieg nicht zu teuer erkauft worden ist.“ Denn solche Spiele wie gegen Hamburg über die Marathondistanz gehen an die Substanz, vor allem bei dem kleinen Kader des Klubs. Dass der die nötige Qualität besitzt, auch gegen anscheinend übermächtige Mannschaften zu bestehen, hat das Spiel am Samstag nachhaltig bewiesen. Doch die nächsten Aufgaben sind nicht zu unterschätzen, die Rollen vertauscht. „Es gibt zwar keine Anzeichen, dass die Mannschaft überheblich wird“, sagt Dutt, „aber es kann sein, dass die Gegner das Spielverhalten gegen uns ändern.“ Sprich eher zurückhaltend, defensiv agieren, nach dem Motto: die Kickers sind der Favorit, die sollen gefälligst das Spiel machen.

Ob die Mannschaft darauf die passende Antwort weiß, werden die nächsten Wochen zeigen – und die haben es in sich. Am Mittwoch in Pfullendorf, dann gegen die Zweitligaabsteiger Saarbrücken (zu Hause) und Siegen (auswärts), zum Abschluss des Monats das Derby gegen Reutlingen. „Deshalb war es wichtig, dass wir in der Verlängerung gewonnen haben“, sagte der Verteidiger Moritz Steinle, „es wäre schon frustrierend gewesen, wenn wir nach 120 Minuten mit leeren Händen dagestanden wären.“

Mit leeren Händen stehen die Kickers in der Tat nicht da. Alleine die Einnahme aus dem Samstagsspiel dürfte rund 90 000 Euro netto bringen, die aber weit gehend bereits für die laufende Saison eingeplant waren. Fragt sich noch, was aus dem Versprechen wird, das Yildiz“ Vater dem Sohn gemacht hat: „Schieß zwei Tore – und du bekommst ein neues Auto.“ Es muss ja nicht gleich ein Porsche sein. Den kriegen die Spieler aber zumindest leihweise von einem Sponsor gestellt. Als Bonbon auf die Siegprämie.

Stuttgarter Kickers: Yelldell – Benda, Yildiz, Härter, Steinle – Sökler (72. Bischof), Hartmann, Akcay (57. Kanyuk), Gambo (35. Stierle) – Okpala, Mesic.

Hamburg: Kirschstein – Demel, Reinhardt, Mathijsen, Benjamin – de Jong (66. Mahdavikia) – Laas, Wicky – Trochowski (71. Klingbeil) – Ljuboja (74. Lauth), Sanogo.

Schiedsrichter: Sippel (München).

Tore: 1:0 Yildiz (5.), 2:0 Okpala (6.), 2:1 Sanogo (28.), 2:2 Ljuboja (36.), 2:3 Demel (44.), 3:3 Yildiz (90.), 4:3 Okpala (96., Foulelfmeter).

Stuttgarter Zeitung

„Dieser Sieg entschädigt für vieles“

Der Kickers-Präsident Hans Kullen zum größten sportlichen Erfolg während seiner Amtszeit

Im Vorjahr hatten die Kickers im Pokal noch 1:5 gegen den Hamburger SV verloren, diesmal gab es ein 4:3 nach Verlängerung und den Einzug in die zweite Runde, der den Verein auch finanziell weiterbringt. „Der Überschuss aus den TV-Einnahmen schadet sicher nicht“, sagt Präsident Hans Kullen im Gespräch mit Joachim Klumpp.

Herr Kullen, Sie haben schon zum Ende der regulären Spielzeit gegen den HSV Ihren Platz neben dem ehemaligen DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder verlassen, um an den Spielfeldrand zu eilen. Hätten Sie der Mannschaft auch bei einer 2:3-Niederlage gratuliert?

Auf jeden Fall. Ich wäre selbst dann zufrieden gewesen, weil die Mannschaft über 90 Minuten Leidenschaft gezeigt hat. Das ist genau der Fußball, den ich sehen möchte. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich nach dem 2:3 etwas Bauchweh hatte.

Schöner Fußball ist gut, erfolgreicher ist besser. Wie wichtig war der Sieg für das Image des Vereins?

Das geht doch alles parallel. Der Erfolg weckt die Euphorie, durch die Euphorie kommen die Sponsoren, und mit den Sponsoren kommen mehr Möglichkeiten. Heute hat jedenfalls jeder Zuschauer gesehen, was die Kickers im Augenblick draufhaben.

Sie sagen „im Augenblick“. Trauen Sie der Mannschaft den Aufstieg nicht zu?

Da würde ja was nicht stimmen, wenn das nicht unser Ziel wäre. Nach den ersten Spielen der Saison bin ich sehr zuversichtlich, dass die Mannschaft das Niveau halten kann und wir uns an der Spitze behaupten. Ich habe jedenfalls keine Angst vor der zweiten Liga, auch wenn es natürlich noch zu früh für ein abschließendes Urteil ist.

Was stimmt Sie optimistisch?

Dass die Mannschaft ein verschworener Haufen ist. Schauen Sie sich doch Christian Okpala an, der trotz seiner Verletzung in der Verlängerung auf die Zähne gebissen und durchgehalten hat. Und dann natürlich die Tatsache, dass unser Trainer nach der Offerte aus Hannover bei uns bleibt.

Welchen Anteil hat denn Robin Dutt am Erfolg in dieser Saison?

Das kann man im Moment noch gar nicht richtig fassen. Aber natürlich trägt die Mannschaft, so wie sie jetzt dasteht, zu einem Großteil die Handschrift des Trainers. Schließlich schaut jeder Spieler, wo er hingeht. Das haben auch unsere Neuzugänge Benda, Okpala und Kanyuk getan. Für die Kickers ist Robin Dutt ein Glücksgriff. Das habe ich rasch erkannt, und ihn deshalb auch vom Oberligacoach zum Cheftrainer befördert. Das war alles sehr wohl überlegt, auch wenn ich Dutt nach der Meinung einiger Kritiker hätte gar nicht verpflichten dürfen.

Stichwort Kritiker. Sie hatten es in den drei Jahren bei den Kickers nicht immer leicht. Ist dieser Sieg gegen den HSV auch so etwas wie Genugtuung für so manche leidvolle Erfahrung?

Die Kritiker hat man in so einem Moment nicht im Kopf. Aber sicher ist das eine gewisse Entschädigung. Im Grunde kann man das gar nicht in Worte fassen.

Aber vielleicht in Zahlen.

Man muss auch in der Stunde so eines Erfolgs auf dem Teppich bleiben. Das Geld aus der ersten Runde ist ja auch zum Großteil schon für den laufenden Etat eingeplant. Was jetzt oben draufkommt, sind die Einnahmen aus der nächsten Runde (110 000 Euro Garantiesumme, d. Red.), mit denen wir natürlich nicht rechnen konnten. Und dieser Überschuss aus dem Fernsehtopf schadet sicher nicht.

Und was fällt für die Mannschaft ab?

Sagen wir so: sie wird zufrieden sein.

Ein kleiner Wermutstropfen bleibt dennoch. Die Hamburger sind der Pressekonferenz fern geblieben. Schlechter Stil?

Zunächst einmal ist das unverständlich, weil ich die Verantwortlichen des HSV ganz anders kennen gelernt habe. Insofern bin ich darüber schon enttäuscht. Aber vielleicht muss man wegen Verlängerung und Flugplan ein gewisses Verständnis dafür aufbringen, ehe man vorschnell urteilt.

Die obligatorische Frage zum Schluss: wie heißt Ihr Wunschgegner?

Wir nehmen“s, wie“s kommt.

Stuttgarter Zeitung

Rund um den Pokalschlager
HSV verzichtet auf Trikottausch

Der Kickers-Ausrüster Uhlsport hatte vorgesorgt gehabt. Für das Pokalspiel lieferte die Firma extra einen Satz Hemden, damit die Spieler hinterher die Trikots mit den bekannten Namen des Hamburger SV tauschen können. Das Dumme war nur: nach der peinlichen Niederlage hatten die wenigsten Bundesligaprofis noch Lust darauf. Immerhin ergatterte sich der Kickers-Torwart Yelldell ein Leibchen seines Kollegen Kirschstein.

Gerade als im Gazistadion die Fußballhymne „Football is coming home“ gespielt wurde, lief der am Freitag als DFB-Präsident verabschiedete Gerhard Mayer-Vorfelder nebst Gattin auf die Tribüne. Ebenfalls unter den Zuschauern weilte der VfB-Präsident Erwin Staudt sowie die Sportbürgermeisterin Susanne Eisenmann. Sie haben den Kickers Glück gebracht und dürfen wiederkommen.

Über die genauen Einnahmen des Pokalspiels konnte Kickers-Präsidiumsmitglied und Schatzmeister Dirk Eichelbaum nach den 120 Minuten noch keine Angaben machen. „Mir fehlt die Abrechnung der Hamburger.“ Denn als Gastverein müssen die Kickers für Anfahrt, Kost und Logis aufkommen. Aus der Erfahrung des vergangenen Jahres weiß Eichelbaum: „Das kann teuer werden. Da kommen schnell mal 30 Flugtickets zusammen. Deshalb wäre für uns der Karlsruher SC ein idealer Gegner gewesen.“ Kann ja noch kommen – in der nächsten Runde, die am Samstag im ZDF-„Sportstudio“ ausgelost wird.

Das hat es seit dem Umbau des Gazistadions 1999 noch nie gegeben: Um 14 Uhr am Samstag waren sämtliche 10 500 Karten verkauft gewesen. Sehr zur Freude von Präsidiumsmitglied Dieter Wahl, der immer überzeugt war: „Wir schaffen diesmal ein volles Haus.“ Letztmals war das in der Aufstiegssaison 1990/91 der Fall gewesen – gegen den MSV Duisburg. ump

Stuttgarter Zeitung

Yildiz: die Entdeckung der Saison
Ein Mann für alle Fälle

STUTTGART (ump). Als sich Recep Yildiz nach dem Punktspiel vor gut einer Woche gegen Darmstadt beinahe unerkannt auf den Heimweg gemacht hatte, da haben ihn zwei junge Fans doch noch entdeckt. Der eine sagte keck: „Das ist Recep Yildiz.“ Der andere antwortete nur: „Na und?“

Spätestens seit Samstag ist der fehlende Respekt der eigenen Anhänger endgültig Vergangenheit. Denn aus einer geschlossenen Mannschaftsleistung ragte der 20-Jährige hervor, war so etwas wie der Mann des Tages. Yildiz köpfte nicht nur die Führung heraus, er schoss die Kickers in letzter Minute mit einem herrlichen Volleyschuss auch in die Verlängerung. „Ich denke: das Tor zum 3:3“, antwortete der Innenverteidiger recht selbstbewusst auf die Frage nach dem Schlüssel zum Erfolg. Aber was heißt Verteidiger. Yildiz hat schon überall gespielt, außer Torwart und auf den Außenbahnen. Ein Mann für alle Fälle. Und die Entdeckung der Saison.

Des einen Freud, des andren Leid. Weil Marco Wildersinn in der Vorbereitung verletzt ausgefallen war und sich der Verein aus „betriebswirtschaftlichen Gründen“ (so sagte der Trainer Robin Dutt) keinen Ersatz leisten konnte, suchte der Coach in den eigenen Reihen nach einer Alternative – und bewies damit ein glückliches Händchen. Yildiz traf schon einmal in der Liga, und jetzt im Pokal. Beim 1:0 kam er völlig frei zum Kopfball. Warum? „Ich habe meinem Gegenspieler Benjamin einen kurzen Schubser gegeben – das gehört dazu“, sagte Yildiz zu seiner Schlitzohrigkeit. Und in der Schlussphase beorderte ihn der Trainer nach vorne, wo seine früheren Stürmerqualitäten zum Tragen kommen sollten. Doch Dutt gab die Lorbeeren weiter, an seinen Assistenten Stefan Minkwitz: „Von ihm kam der Tipp.“

Der Türke ist ein typisches Kickers-Eigengewächs, ähnlich wie Moritz Steinle. Seit 1995 spielt er bei den Blauen, von der E 2 in die erste Mannschaft. Nicht schlecht. Und der Weg nach oben scheint noch nicht zu Ende zu sein. Denn nach der mittleren Reife konzentriert er sich auf den Fußball, auch wenn die professionelle Einstellung noch steigerungsfähig ist. Seine Vorliebe für Fastfood oder Cola kommt der Fitness nicht gerade zugute. Yildiz gibt zu: „Nach dem Ausgleich hatte ich kaum noch Luft zum Atmen.“

Aber bis Mittwoch ist das anders. Sein Geheimnis: „Ich lasse mich von meiner Mutter durchmassieren, dann bin ich in Pfullendorf wieder fit“, sagte Yildiz, der noch zu Hause bei den Eltern wohnt und ausgerechnet im VfB-Hoheitsgebiet Cannstatt auf die Welt kam. Das ist aber auch der einzige Makel, den die Kickers-Fans bei Recep Yildiz derzeit ausmachen können.

Stuttgarter Zeitung

Die Pokalsensation und ihre Folgen
Ein Mosaikstein – oder ein Meilenstein?

Von Joachim Klumpp

Der Pokal hat seine eigenen Gesetze. Das weiß inzwischen jedes Kind. Mit Ausnahme der Hamburger Profis vielleicht, die sich bei den Stuttgarter Kickers in letzter Minute noch den sicher geglaubten Sieg aus den Händen reißen ließen. Ein Sieg, für den es keine drei Punkte gibt, aber Entschädigung in anderer Hinsicht. Finanzieller Art nämlich, und, was vielleicht noch wichtiger ist: die Kickers sind wieder wer im Fußball.

Zunächst einmal für 24 Stunden, so lange durften die Spieler den Triumph genießen. Aber vielleicht auch noch Tage, Wochen, Monate oder länger. Der Auftritt hat jedenfalls gezeigt, die Mannschaft lebt – und der Verein tut es auch. Ein ausverkauftes Haus gab es seit mehr als einer Dekade in Degerloch nicht mehr. Und Siege wie gegen den HSV, zumal mit einem solchen Drehbuch, lassen auch die Zahl der Kritiker im Umfeld verstummen, sei es aus Überzeugung oder nur, weil sie einsehen, dass das Konzept des Präsidiums offenbar Früchte trägt.

Ob der Pokal letztendlich ein Mosaiksteinchen war oder ein Meilenstein, das wird erst die Zukunft zeigen. Wobei eines klar ist: sollten die Kickers weiter in der Erfolgsspur bleiben, weckt das Begehrlichkeiten. In den eigenen Reihen – aber auch bei der Konkurrenz. Der Flirt des Bundesligisten Hannover mit Robin Dutt war kein Zufall, und der Trainer weist bereits zu Recht darauf hin, dass solche Anfragen bald genauso die Spieler betreffen können. Darauf muss der Verein vorbereitet sein – auch und vor allem, wenn es mit dem Aufstieg in die zweite Liga nicht klappt. Denn vom Sieg gegen Hamburg redet dann niemand mehr.

Stuttgarter Zeitung

Blau ist in: Kickers stehen Kopf

Imagegewinn und Geldregen: Pokal-Coup gegen HSV öffnet neue Perspektiven

Stuttgart – Das Hoch bei den Stuttgarter Kickers hat eine neue Dimension erreicht. Der 4:3-Sieg n. V. in der ersten DFB-Pokal-Runde gegen den Hamburger SV bringt dem Club einen enormen Schub – vor allem wirtschaftlich.

VON JÜRGEN FREY

Die Jubelorgie in Blau wollte kein Ende nehmen. Trainer Robin Dutt drehte eine Pirouette nach der anderen. Die Mannschaft feierte auch eine Viertelstunde nach dem Abpfiff noch ausgelassen mit den Fans. Nur einer hüpfte nach dem Pokal-Coup nicht wie ein Flummi übers Spielfeld. Manager Achim Cast saß auf der Auswechselbank, grinste und stellte dann ganz nüchtern fest: „Dieser Erfolg verbessert unsere Situation unheimlich.“ Etwa 90 000 Euro Nettogewinn brachte der Knüller gegen den HSV. In der zweiten Runde (24./25. Oktober) gibt es noch einmal 110 000 Euro allein an Fernsehgeldern. Ein Live-Spiel würde sogar knapp 500 000 Euro in die Kasse spülen.

Hinzu kommt der Imagegewinn. 10 500 Zuschauer in der erstmals seit 15 Jahren wieder ausverkauften Kickers-Arena konnten sich davon überzeugen: Blau ist wieder in. „Wir können gegenüber Sponsoren jetzt doch ganz anders auftreten“, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende Christian Mauch.

Auch wenn sich für den einen oder anderen im Verein die Erfolge zu sehr auf den Trainer fokussieren: Der Mann, der den Löwenanteil am Aufschwung bei den Kickers hat, ist Robin Dutt. Er formte aus einer kreuzbraven Durchschnittstruppe ein Team, das das Zeug zum Aufstieg hat. Und zwar mit Herzblut, Akribie und sozialer Kompetenz. In der Kabine schwenkte Kickers-Spieler Manuel Hartmann ein T-Shirt, auf dem stand: Danke, Robin Dutt. Das hatten die Fans unter die Leute gebracht. Aus Erleichterung über das Bleiben des Trainers. Dutts Gespräche Mitte der Woche mit Hannover 96 hatten die Anhänger in helle Aufregung versetzt. Im Verein hielt sich der Wirbel in Grenzen. „Damit müssen wir leben. Das zeigt doch nur die Wertschätzung für seine klasse Arbeit“, sagte Mauch.

Weitere Folge von Dutts Flirt mit dem Bundesligisten: Der 41-Jährige dürfte nun häufiger auf dem Trainerkarussell auftauchen. Der Coach sieht das betont gelassen: „Wir wollen ein Spitzenteam sein, dann darf man auch nicht nervös werden, wenn ein Beteiligter ein Angebot bekommt.“

Am Saisonende läuft Dutts Vertrag aus. Vor Dezember werde sicher keine Entscheidung über eine Verlängerung des Kontrakts fallen, sagte der Coach vor kurzem. Bis dahin sehen die Blauen klarer, wohin im Regionalliga-Alltag die Reise geht. Schon das Spiel am kommenden Mittwoch (19 Uhr) beim SC Pfullendorf wird weitere Aufschlüsse geben.

Stuttgarter Nachrichten

Yildiz im Glück: Zwei Tore, ein Auto

Kickers-Senkrechtstarter

Die meisten Spieler der Stuttgarter Kickers feierten den Pokal-Triumph der Stuttgarter Kickers gegen den HSV auf der Partiemeile Theodor-Heuss-Straße. Recep Yildiz fehlte: Der Senkrechtstarter im Team der Blauen lag um 22 Uhr bereits zu Hause im Bett in Stuttgart-Mühlhausen.

VON JÜRGEN FREY

„Ich war völlig platt“, sagte Yildiz am Sonntagmittag, bevor er sich als Zuschauer zum Spiel der zweiten Mannschaft aufmachte. Wieder einmal hatte der 20-Jährige für die Kickers alles gegeben. Hinten räumte er gegen Stars wie Danijel Ljuboja und Boubacar Sanogo mit Herz und Leidenschaft energisch auf, vorne traf er per Kopf zum 1:0 (5.) und mit einem sehenswerten Seitfallziehen zum 3:3 (90.). „Ein Hammergefühl“, schwärmte Yildiz.

Wahrscheinlich auch, weil er genau wusste, dass sein Vater Ergin Wort halten würde: Der Frührentner hatte seinem Filius für zwei Treffer ein neues Auto versprochen. „Nächste Woche suche ich mir einen Ford Focus aus“, legte sich Yildiz bereits auf einen ganz bestimmten Typ fest.

Der Mann weiß, was er will. Das war schon immer so. „Völlig egal, auf welche Position man Recep stellt, mit ihm gewinnt man Spiele“, hatte A-Jugend-Trainer Wolfgang Schneck vor einem Jahr in den Beurteilungsbogen geschrieben. Das drückt zum einen den unbändigen Ehrgeiz und Siegeswillen von Yildiz aus. Zum anderen zeigt es, wie vielseitig der gebürtige Stuttgarter einsetzbar ist. Seit er in der E-Jugend zu den Blauen kam, spielte er meistens im Mittelfeld. Aber auch im Sturm. Und seit dieser Regionalligasaison eben in der Innenverteidigung. „Ich will mit den Kickers in die zweite Liga“, sagt Yildiz. Dafür verzichtet er sogar auf die große Sause nach dem Pokal-Coup.

Stuttgarter Nachrichten

Kein Verkehrschaos beim Kickers-Kick

DFB-POKAL Disziplinierte Fans kamen mit Bus und Bahnen

Degerloch. Über 10 000 Besucher strömten in das Stadion der Stuttgarter Kickers, doch lange Staus, wie noch beim Regionalliga-Spiel gegen den VfB II, blieben bei der Partie gegen den HSV am Samstag aus.

Von Ulrich Stolte

Die meisten der Fans hatten im Vorfeld die Aufrufe in den Medien befolgt und waren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln angereist. Das war für viele anstrengend genug. Kurz vor Spielbeginn zeigten sich besonders die Fans vom Hamburger SV von der langen Zugfahrt schwer gezeichnet, die sie offenbar mit alkoholischen Getränken etwas verkürzt hatten. Die Stuttgarter Polizei hatte keine Mühe, der 10 000 Zuschauer Herr zu werden, es wurden keine Verkehrsprobleme gemeldet, so die Pressestelle. Teile der Jahnstraße waren zusätzlich als Parkplätze ausgewiesen, die Zufahrten in die Wohnquartiere wurden gesperrt. Die Beamten leiteten Busse und die Autofahrer auf die Parkplätze südlich des Stadions um, wo anschließend die Parkwächter die Feinarbeit übernahmen:

„Hier kommt keiner rein, nicht mal wenn der Papst davorsteht“, sagte der Mann an der Schranke am Parkplatz P1. Er musste sich im Vorfeld schon mit einem aufmüpfigen Fernsehteam herumschlagen, das partout seinen Anweisungen nicht folgen wollte. Sonst war nichts Außergewöhnliches.

Kickers-Pressesprecher Guido Dobbratz hatte noch nie so einen Medienrummel erlebt wie bei diesem Spiel. Das und der Zuschaueransturm sprengten fast den Rahmen dessen, was die Stuttgarter Kickers leisten könnten, sagte der Pressesprecher. Er nahm an, dass Staus und Verkehrschaos auch deswegen ausgeblieben seien, weil das Match am Samstag in einer verkehrsarmen Zeit angepfiffen wurde. Das Regionalliga-Spiel gegen den VfB II vor drei Wochen war am Freitag gewesen, zur allerschönsten Hauptverkehrszeit.

Trotz des glänzenden Sieges haben die Kickers nicht groß gefeiert „und sich nicht mit Schampus übergossen“, sagt Dobbratz, denn vor allem die Verlängerung habe Kraft und Substanz gekostet. Zwei Spieler mussten gleich zum Doktor, und die anderen Fußballer sind früh zu Bett, um sich fit zu halten für das nächste Match.

Stuttgarter Nachrichten

Ein goldener Tipp für die „Blauen“

In einem Pokalkampf voller Wendungen demonstrieren die Kickers gegen den HSV ihre neue Klasse und gewinnen 4:3

Stuttgart – Teamgeist und Siegeswillen – die Stuttgarter Kickers haben viel von dem gezeigt, was eine Fußballmannschaft auszeichnet. Der entscheidende Tipp für den 4:3 (3:3, 2:3)-Erfolg nach Verlängerung im DFB-Pokal gegen den Hamburger SV kam dabei von Co-Trainer Stefan Minkwitz.

Von Carlos Ubina

Es hat lange gedauert. Über 15 Jahre. 1990 war das Gazistadion auf der Waldau vor dem HSV-Spiel letztmals ausverkauft. 10 500 Zuschauer fanden zur Erstrundenbegegnung des Regionalliga-Spitzenreiters gegen den Champions-League-Teilnehmer den Weg nach Degerloch und es ist wohl auch schon lange her, dass alle Besucher auf der engen Haupttribüne kurz vor Schluss standen und mit „Kickers-Kickers“-Rufen versuchten, den Ball ein weiteres Mal ins Hamburger Tor zu schreien. Sekunden zuvor hatte Recep Yildiz das 3:3 (89.) erzielt und dem Stück auf dem Rasen eine kaum noch für möglich gehaltene Wendung gegeben.

Mit 2:0 durch Tore von Yildiz (5.) und Christian Okpala (6.) hatten die „Blauen“ bereits geführt und die hoch eingeschätzten Gäste unter Druck gesetzt. Mirnes Mesic gab das Signal dazu, als er den ersten Zweikampf gegen Nigel de Jong gewann. Doch so mutig der Außenseiter begann, so schnell verspürte er die Angst vor der eigenen Courage. Der HSV fand leichter als nach dem Rückstand erwartet in das Spiel zurück, weil sich die Kickers zu weit zurückzogen. Die Gegentreffer fielen ohne große Gegenwehr.

Boubacar Sanogo per Kopf (28.), Danijel Ljuboja nach feinem Zuspiel (36.) und Guy Demel volley aus 25 Metern (44.) brachten die hanseatische Fußballwelt wieder in Ordnung. Eine Folge der wachsenden Dominanz. „Ich habe meiner Mannschaft dann gesagt, dass es wirklich außergewöhnlich wäre, jetzt noch einmal zurückzukommen“, erzählte Kickers-Trainer Robin Dutt. Der Glaube an die Sensation verließ die Stuttgarter also nicht, allerdings schienen die Mittel zu fehlen.

Doll: Das war arrogant

Dutt stellte im Mittelfeld zwar um und die Gastgeber unterbanden wieder besser das Kurzpassspiel des Bundesligisten, eigene Chancen sprangen jedoch nicht heraus. Da die Hamburger aber nachlässig mit ihren Möglichkeiten umgingen, kam Coach Thomas Doll zu dem Urteil: „Was in der zweiten Hälfte abgelaufen ist, hatte nichts mehr mit Fußball zu tun. Das war arrogant.“ Von ihm selbst war die Sorglosigkeit des Favoriten jedoch ausgegangen. Der Trainer wechselte mit dem angeschlagenen de Jong sowie Piotr Trochowski und Ljuboja drei seiner Aktivposten aus.

Als Minkwitz seinen Chef stupfte und den „goldenen Tipp“ (Dutt) gab, Innenverteidiger Yildiz nach vorne zu beordern, wirkten die Kickers nicht mehr wie Provinzschauspieler, die auf zu großer Bühne auftreten. Mit dem Ausgleich kehrte einiges an Kraft zurück und die erneute Führung durch den Foulelfmeter von Okpala (96.) verteidigten die „Blauen“ gekonnt. Spätestens hier war der Unterschied zum vergangenen Jahr, als die Kickers dem HSV mit 1:5 unterlagen, deutlich.

Dutt hat die Mannschaft weiter entwickelt. Sie ist reifer, stärker – und im Moment euphorisiert. Der Triumph kann als weitere Bewerbung für eine höhere Spielklasse angesehen werden. Das muss er aber nicht. In der Degerlocher Sprachregelung werden noch einige Spieltage abgewartet, ehe lauter über den Aufstieg gesprochen wird. Am Mittwoch geht es zum SC Pfullendorf. „Unabhängig vom Pokalkampf ein schweres Spiel“, wie Dutt befand.

Nüchtern betrachtet bedeutet der Erfolg nicht mehr als eine sechsstellige Einnahme, die bislang nicht im 2,4 Millionen Euro umfassenden Etat vorgesehen war. Gerechnet hatten die Kickers mit realistischen 50 000 Euro aus der ersten DFB-Pokalrunde, geworden sind es 90 000 und jetzt kommen sichere 110 000 hinzu. Mit Wohlgefallen hat Präsident Hans Kullen deshalb die Freudentänze der Spieler und Trainer beobachtet.

Stuttgarter Kickers: Yelldell – Benda, Yildiz, Härter, Steinle – Söckler (71. Bischoff), Hartmann, Akcay (57. Kanyuk), Gambo (35. Stierle) – Mesic, Okpala.

Hamburger SV: Kirschstein – Demel, Reinhardt, Mathijsen, Benjamin – Wicky, de Jong (66. Mahdavikia), Trochowski (71. Klingbeil), Laas – Ljuboja (74. Lauth), Sanogo.

Schiedsrichter: Sippel (München).

Zuschauer: 10 500 (ausverkauft).

Tore: 1:0 Yildiz (5.), 2:0 Okpala (6.), 2:1 Sanogo (28.), 2:2 Ljuboja (36.), 2:3 Demel (44.), 3:3 Yildiz (89.), 4:3 Okpala (96./Foulelfmeter).

Gelbe Karten: Härter/Reinhardt, Klingbeil, Demel.

Beste Spieler: Yildiz, Okpala/de Jong, Trochowski.

Eßlinger Zeitung

Zwei Tore und ein neues Auto

Stuttgart (cu) – Recep Yildiz ist ein folgsamer Sohn. Vor dem DFB-Pokalschlager gegen den Hamburger SV hat ihn sein Vater zur Seite genommen und gesagt: „Recep, schieß‘ zwei Tore gegen den HSV und du bekommst ein neues Auto.“ Der Junior hat die Stuttgarter Kickers dann per Kopf mit 1:0 in Führung gebracht (5.) und per Seitfallzieher ins Spiel zurück (89.). Nach dem 4:3-Sieg nach Verlängerung steht Yildiz senior also im Wort.

Es ist jedoch nicht zu befürchten, dass der Fußball spielende Sohnemann gleich heute nach dem neuen Schlüssel verlangt. Recep Yildiz ist ein bescheidenes Talent, das noch zu Hause bei seinen Eltern in Stuttgart-Mühlhausen wohnt, beim Regionalligisten über einen Vertrag bis 2008 verfügt und trotz starker Leistungen in Punkt- und Pokalspielen keine Ansprüche stellt.

„Die Jugendzeit, als man sich noch wünschen konnte, auf welcher Position man spielt, ist vorbei“, sagt der Innenverteidiger. Der Hintergrund: Erst in dieser Saison hat Trainer Robin Dutt den 21-Jährigen umgeschult. Aus Mangel an Alternativen. Jetzt hat Yildiz den bislang etablierten Marco Wildersinn verdrängt und Dutt kann sich momentan nur noch schwer vorstellen, den Newcomer auf einer anderen Position zu bringen.

Die Vielseitigkeit bleibt jedoch Yildiz‘ große Stärke. In der vergangenen Saison spielte er die Vorrunde über in der Oberliga-Mannschaft der Kickers, während der Rückrunde kam er als Teilzeitkraft im Angriff des Regionalliga-Teams zum Einsatz. „Ich bin aber auch kein gelernter Stürmer“, sagt der in Cannstatt geborene Türke. Das Mittelfeld ist sein ursprünglicher Bereich. „Und am liebsten spiele ich offensiv“, sagt Yildiz. Gegen die Rolle als torgefährlicher Verteidiger haben aber weder er, sein Vater noch der Trainer etwas einzuwenden.

Eßlinger Zeitung

Stuttgarter Kickers

Auf Klinsmanns Spuren

Regionalligist profitiert bei der Pokalsensation gegen den HSV von seinem professionellen Fitnesstraining.

Von Klaus Schlütter

Stuttgart – Nach dem Schlusspfiff lief Trainer Robin Dutt mit erhobenen Armen auf den Rasen und drehte übermütig einige Pirouetten. Auf der Tribüne schlüpften die Fans in selbst entworfene T-Shirts mit der Aufschrift „Danke Robin Dutt, mit dir in die 2. Liga“ und feierten noch lange die Pokal-Sensation. Mit 4:3 nach Verlängerung hatten ihre Stuttgarter Kickers den Favoriten Hamburger SV aus dem DFB-Pokal geschossen.

Im Vorjahr waren die „Blauen“ vom Degerloch noch beim 1:5 vom HSV im Pokal vorgeführt worden. Doch diesmal war alles ganz anders. Die Arena auf der Waldau war zum ersten Mal seit 15 Jahren ausverkauft und die 10 500 Zuschauer sahen ein begeisterndes Fußballspiel. Bereits nach fünf Minuten stand es 2:0. Der ersatzgeschwächte HSV konterte, führte 3:2 zur Pause und sah bereits wie der sichere Sieger aus. Doch der Tabellenführer der Regionalliga Süd gab sich nicht auf. Recep Yildiz schoss die Kickers in der 90. Minute in die Verlängerung, Christian Okpala verwandelte einen Foulelfmeter zum Siegtreffer. „Wir haben gespürt, dass heute was geht“, sagte Trainer Dutt.

Auf der Tribüne staunte Erwin Staudt, Präsident des Bundesligisten VfB Stuttgart, über die mannschaftliche Geschlossenheit und Fitness, mit der die Kickers ein scheinbar verlorenes Spiel noch drehten. Hinter diesem Erfolg stehen vor allem zwei Namen: Robin Dutt und Frieder Schönmezler. Dutt hat innerhalb eines Jahres aus einem Abstiegskandidaten eine Spitzenmannschaft geformt. Seine gute Arbeit hat sich schon bis in die Bundesliga herumgesprochen. Bei Hannover 96 war er als Nachfolger von Peter Neururer in der engeren Wahl, musste aber – zum Glück für die Kickers – Aachens Dieter Hecking den Vortritt lassen. „Das wird sicher nicht das letzte Angebot gewesen sein. Der Verein muss mit so etwas umgehen können. Das wird auch Spieler von uns betreffen“, sagte Dutt.

Schönmezler ist ein ehemaliger Kickers-Spieler und -trainer. Heute leitet er ein Reha-Zentrum in Stuttgart-Feuerbach. Zweimal in der Woche kommt der komplette Kader zu ihm, um nach denselben Methoden zu trainieren, mit denen die amerikanischen Fitness-Trainer unter dem ehemaligen Kickers-Spieler Jürgen Klinsmann die deutsche Nationalmannschaft vor der Weltmeisterschaft in Form gebracht haben.

Von der professionellen Vorbereitung haben auch die Matchwinner Recep Yildiz (20) und Christian Okpala (29) profitiert, die jeweils zwei Treffer erzielten. Yildiz stürmte in der vergangenen Saison noch für Kickers II in der Oberliga. Unter Dutt wurde er zum torgefährlichen Innenverteidiger umgeschult. Der kräftige und sehr antrittschnelle Stürmer Okpala kam von Zweitliga-Aufsteiger FC Augsburg. Präsident Hans Kullen streckte die Ablöse für Okpala aus eigener Tasche vor.

Die Investitionen in die Mannschaft zahlen sich jetzt aus. Zu den etwa 90 000 Euro Nettogewinn kommen in der zweiten Pokalrunde noch einmal 110 000 Euro Fernsehgeld und die Zuschauereinnahmen. Im Vip-Raum des Stadions wurde das noch lange gefeiert. Am Mittwoch wartet in Pfullendorf wieder der Alltag in der 3. Liga.

Welt

Selbstkritik nach Pokal-Aus: „Arrogant, überheblich, peinlich“

HSV-Trainer Doll droht Konsequenzen an

Von Lars Pegelow

An der Ersatzbank des HSV brach in der Verlängerung plötzlich Hektik aus. Handys wurden gezückt, bange Blicke richteten sich auf die Armbanduhren. Als die Partie in Stuttgart-Degerloch dann um 17.55 Uhr vorbei war, ging Betreuer Jürgen Ahlert zu jedem einzelnen HSV-Spieler und hatte nur eine Nachricht: „Beeil dich mit dem Umziehen.“ Nach 20 Minuten voller Hektik fuhr der HSV-Bus vom Hof, der Flieger am Stuttgarter Flughafen um 19 Uhr wurde gerade eben erreicht. Die größte Sorge, so schien es, hatte sich für den HSV an diesem Nachmittag erledigt.

Zuvor hatte Trainer Thomas Doll nach der 3:4-Pokalniederlage bei den Stuttgarter Kickers ein paar deutliche Worte gefunden: „Das hatte in der zweiten Halbzeit nichts mit Fußball zu tun. Das war arrogant, überheblich – der eine oder andere Spieler wird Konsequenzen sehen und spüren.“

Schon die Anfangsminuten waren für den HSV ein fußballerischer Albtraum. Der erste gefährliche Schuss der Kickers rauschte nach 13 Sekunden Richtung Torwart Sascha Kirschstein, nachdem Nigel de Jong den Ball am eigenen Strafraum vertändelt hatte. In der fünften Minute die Führung der Platzherren, Recep Yildiz köpfte das 1:0 – Collin Benjamin, sein Bewacher, hatte nicht aufgepasst.

„Wir sind sehr verunsichert gestartet“, sagte Abwehrspieler Bastian Reinhardt und untertrieb damit noch. Nicht einmal eine Minute nach dem Rückstand verstolperte Keeper Kirschstein eine allerdings auch ungenaue Rückgabe von Joris Mathijsen. Der Stuttgarter Torjäger Christian Okpala bedankte sich mit dem 2:0. Kirschstein gab zu: „Das geht ganz klar auf mein Konto. Für so eine Aktion gibt es eigentlich keine Worte.“

Dass der HSV noch in der ersten Halbzeit zulegte und durch Treffer von Boubacar Sanogo (28.), Danijel Ljuboja (36.) und einen 25-Meter-Volley-Schuss von Guy Demel (44.) zur Pause mit 3:2 in Führung lag – alles schön und gut. „Aber hängen bleibt die zweite Hälfte. Wir haben Konterchancen nicht genutzt, waren zu leichtfertig und sind folgerichtig mit dem 3:3 bestraft worden. Einige müssen sich fragen, ob das der Weg ist, den wir gehen wollen“, sagte Thomas Doll. Recep Yildiz war erneut der Torschütze in der 89. Minute.

Verteidiger Reinhardt sah die zweite Hälfte so: „Wenn du hinten stehst und siehst, wie die Chancen vergeben werden, kriegst du einen Hals. Und es kann nicht sein, dass wir kurz vor Ende bei einer 3:2-Führung ausgekontert werden.“

Entscheidend für den Leistungsabfall waren auch die Auswechselungen. Nigel de Jong, schied mit einer Knieprellung aus und wurde durch den indisponierten Mehdi Mahdavikia ersetzt. Piotr Trochowski, offensiv stärkster HSV-Spieler im zweiten Durchgang, sollte nach seinen U 21-Länderspielen geschont werden. Und für Danijel Ljuboja, der nicht nur wegen seines Tores ordentlich debütierte, kam der extrem schwache Benjamin Lauth. Das Stuttgarter 4:3 durch einen Elfmeter von Okpala war nur logisch.

Verteidiger Joris Mathijsen räumt ein: „Das Verhalten in der zweiten Halbzeit kann man arrogant nennen.“ Sascha Kirschstein gab zu: „Unser Auftritt war wirklich peinlich.“

Welt

Hamburger SV

„Wir sind in einer Krise“

Trainer Doll beklagt Fahrlässigkeit und Arroganz.

Von Lars Pegelow

Stuttgart – HSV-Trainer Thomas Doll benötigte eine Nacht und eine Videoanalyse des 3:4 bei den Stuttgarter Kickers, um vor seine Mannschaft zu treten. Den Frust über das Erstrunden-Aus im DFB-Pokal ließ er sich nicht mehr anmerken. „Wir haben einen Schuss vor den Bug bekommen“, sagte Doll. „Vielleicht ja zur richtigen Zeit. Wir freuen und jetzt auf unsere Aufgaben in der Champions League.“

Also zurück zum Alltag beim HSV? So einfach wird das nicht gehen. Denn die Partie in Stuttgart-Degerloch schloss in vielen Punkten zu nahtlos an andere schlechte Hamburger Spiele der Vorwochen an. „Natürlich bin ich sauer“, sagte der Niederländer Nigel de Jong. „Ich bin immer sauer, wenn wir nicht gewinnen. Und wir haben noch kein einziges Pflichtspiel in dieser Saison gewonnen.“ Drei Remis in der Bundesliga, zwei in der Champions-League-Qualifikation gegen Osasuna, nun die Pokal-Pleite, das ist die magere Ausbeute zum Start der Saison.

Für Thomas Doll sind nicht nur die Ergebnisse ähnlich, er sieht auch ein immer wiederkehrendes Verhaltensmuster, das zum Misserfolg führt: „Wir haben ein Samariterdenken entwickelt, das wir uns nicht erlauben können. Wir spielen über weite Strecken ordentlich, und holen dann die Gegner mit eigenen Fehlern wieder zurück.“ So wie beim Drittligisten aus Stuttgart, als der HSV lange 3:2 führte, aber „fahrlässig und arrogant“, so Doll, spielte und den Gegner zum Toreschießen förmlich einlud. Und nun geht es in der Champions League gegen den FC Arsenal. Wie soll das gut gehen? „Vielleicht brauchen wir gerade so ein Spiel. Einen Knackpunkt, mit dem wir alles umdrehen können, was bisher schief gelaufen ist“, sagt Verteidiger Collin Benjamin.

Ihre Hoffnung schöpfen die Hanseaten daraus, dass auch der nächste Gegner längst noch nicht in Form ist. Mit dem 1:1 gegen Middlesbrough schaffte Arsenal auch im dritten Saisonspiel keinen Sieg. Doll fühlt sich bestätigt: „Da sieht man, dass auch eine große Mannschaft Anlaufprobleme haben kann. Im Fußball braucht ein Team Zeit, um sich zu finden.“

Unklar ist indes, an wem sich der HSV dabei aufrichten will. Juan Pablo Sorin (30), argentinischer Star mit Wadenproblemen, trainiert immer noch nicht mit dem Ball. „Ich muss abwarten und weiß noch nicht, wann es geht“, sagte Sorin, als er nach einer Laufeinheit erneut über Schmerzen klagte. Kapitän Rafael van der Vaart erholt sich in Amsterdam von einem Sehnenanriss im Oberschenkel.

Die Verantwortung lastet auf de Jong (21), Guy Demel (25), Piotr Trochowski (22) und Boubacar Sanogo (23). Auf den Schultern sehr junger Spielern also. „Wir sind in einer Krise“, gesteht Torwart Sascha Kirschstein. „Jeder muss jetzt mehr geben als 100 Prozent, um da wieder rauszukommen.“

Personell deutet sich Entspannung an. Der Belgier Vincent Kompany und der Tscheche David Jarolim sollen nach überstandenen Verletzungen am Mittwoch wieder zum Kader gehören. Dann dürfen die Spieler auch nicht mehr an Stuttgart denken, fordert Thomas Doll: „Wir sollten heiß sein auf die Champions League, heiß auf die Bundesliga, heiß darauf, Spiele zu gewinnen. Dafür müssen wir alle zwei Gänge hoch schalten.“

Leichtfertigkeit und Arroganz würden beim HSV jedenfalls nicht mehr vorkommen, versprach der Trainer. Trotz der vielen Negativerlebnisse der vergangenen Wochen kündigte er an: „So etwas wie in Stuttgart, wo wir ein Spiel einfach aus der Hand geben, wird uns nie wieder passieren.“

Welt

HSV-Spieler: „Arrogant? Ja, das stimmt!“

HAMBURG

Thomas Doll kritisierte seine Spieler nach dem 3:4 im DFB-Pokal bei den Stuttgarter Kickers heftig. Und das sagten die Profis selbst nach der Blamage.

Bastian Reinhardt: „Vor dem gegnerischen Strafraum haben wir uns wie im Training die Bälle zugespielt. Da bekommst du hinten einen Hals. Uns hat die Bissigkeit gefehlt, das 4:2 erzielen zu wollen. Und auswärts in Unterzahl noch das 3:3 zu kassieren, ist einfach dumm. Insgesamt hat uns die Cleverness gefehlt. Wir brauchen so schnell wie möglich ein Erfolgserlebnis, um ins Rollen zu kommen. Das Spiel gegen Arsenal hat auch Pokalcharakter – und wir müssen gegen London so spielen wie die Stuttgarter Kickers gegen uns.“

Guy Demel: „Wenn der Trainer sagt, dass wir arrogant gespielt haben, dann stimmt es auch. Uns hat die richtige Konzentration gefehlt. Wir müssen lernen und arbeiten, um es besser zu machen. Die Qualität in der Mannschaft haben wir, aber viele Spieler waren oder sind verletzt, die Ruhe in der Vorbereitung hat gefehlt.“

Joris Mathijsen: „Jeder hat gedacht, wir hätten den Sieg schon in der Tasche, wir haben uns wirklich ein bisschen arrogant verhalten. Es wird noch ein paar Wochen dauern, bis der Findungsprozess abgeschlossen ist. Aber der Transfermarkt schließt nun mal erst Ende August. Wenn wir gegen Arsenal so spielen wie in der ersten Halbzeit nach dem 0:2, dann können wir ihnen das Leben schwer machen.“

Sascha Kirschstein: „Das zweite Gegentor geht ganz klar auf mein Konto. Auch wenn die Niederlage ein bisschen peinlich ist: Ich weiß, dass wir keine arrogante Mannschaft sind. Wir sind doch auch enttäuscht, weil wir den Fans, dem Verein und uns keinen Sieg schenken konnten. Wir haben eben jetzt die Krise, letzte Saison war es andersrum.“

Collin Benjamin: „Personell ist unser Kader gut bestückt. Jeder muss einfach seinen Job auf seiner Position erledigen, sein Ding machen, damit das Muster auch zusammenpasst. Den Vorwurf der Arroganz müssen wir akzeptieren und jetzt eine richtige Reaktion zeigen. Die Champions League bringt uns jetzt mit Arsenal genau das Spiel, das wir brauchen, um etwas gutzumachen.“

Alexander Laas: „Ich bin sicher: Hätte mein Tor in der Verlängerung gezählt, womit ich fest gerechnet hatte, hätten wir das Ding noch umgebogen. Benny Lauth stand nicht in der Schusslinie.“

Hamburger Abendblatt

Im Charaktertest durchgefallen

DFB-Pokal: Der HSV blamiert sich beim 3:4 nach Verlängerung in Stuttgart. Erst zeigten die Hamburger nach dem 0:2-Rückstand Moral, dann wurden sie für ihre Arroganz bestraft.

Von Alexander Laux

Stuttgart/Hamburg

Um 15.36 Uhr bebte das GAZI-Stadion. Und diejenigen Skeptiker fühlten sich bestätigt, die behaupteten, dass in der umformierten, von einigen Ausfällen geplagten Mannschaft (noch) kein Leben stecke. Erst hatte Yildiz per Kopf nach einem Freistoß getroffen (5.), dann eine Minute später Okpala auf 2:0 erhöht, weil Kirschstein einen halbhohen Rückpass von Mathijsen auf gruselige Art und Weise verdaddelt hatte. Ein Debakel schien sich anzubahnen. Fast paradox: Nach dem Abpfiff jedoch waren alle Hamburger fassungslos, wie sie dieses DFB-Pokalspiel noch verlieren konnten.

Denn: In der zweiten Phase des Spiels übernahmen die HSV-Profis, nachdem sie den Doppelschock verdaut hatten, vor 10 500 Zuschauern das Kommando, waren spielerisch hoch überlegen und erzielten innerhalb von 16 Minuten drei Tore. Erst köpfte Sanogo einen Trochowski-Freistoß ein (28.), dann glich Ljuboja zum 2:2 aus, und schließlich sorgte Demel mit einem Volley-Distanzschuss aus 26 Metern sogar für die Führung.

Die zunehmende Dominanz bekam der Elf von Trainer Thomas Doll jedoch überhaupt nicht. In der dritten Phase des Spiels versuchte sie, den Vorsprung zu verwalten, statt mit dem 4:2 für klare Verhältnisse zu sorgen. Wie eine sich überlegen fühlende Katze mit ihrer gefangenen Maus spielte der HSV lässig mit seinem hilflosen Opfer. Nur zwei Torchancen (Trochowski/56., Ljuboja/63.) waren die schlappe Ausbeute in 45 Minuten, einige Konter-Situationen wurden fahrlässig vergeben.

Zudem ging nach den drei Wechseln die Ordnung verloren. Nachdem schon Ljuboja und de Jong (Wade) den Platz verlassen mussten, nahm Doll auch den bis dahin aktiven Trochowski (sollte nach einem Pferdekuss geschont werden) vom Platz, brachte Klingbeil und stellte das System um (flache Vier im Mittelfeld). Keine glückliche Wahl.

Doch diese Umstellungen konnten den Spielern nicht als Entschuldigung dafür dienen, was dann in Phase vier passierte: Nachdem Yildiz in der 90. Minute den Ausgleich gegen die aufgerückten Hamburger geschafft hatte, erzielte Okpala in der sechsten Minute der Verlängerung per Foulelfmeter das 4:3. Der HSV versuchte es mit der Brechstange, doch mehr als das Abseits-Tor von Laas kam nicht heraus (105.) – und der HSV war, obwohl er erst Moral bewiesen hatte, am Ende doch im Charaktertest durchgefallen. Trainer Thomas Doll bezeichnete das Verhalten seiner Spieler später als „arrogant“ (siehe Bericht unten). Phase fünf ging dann ganz schnell: Nur noch weg vom Ort des Grauens, weil der Flieger um 19 Uhr von Stuttgart über Frankfurt nach Hamburg wartete. Ein Elfmeterschießen war offenbar erst gar nicht in der Reiseplanung des HSV vorgesehen.

Nach dem verdorbenen Start in die Bundesliga und dem frühen DFB-Pokalaus droht den Hamburgern nun ein stürmischer Herbst, sollte Arsenal London am Mittwoch in der Champions League die erwartet hohe Hürde sein. Danach stehen in Moskau und Porto zwei Auswärtsspiele an, die nächsten Aufgaben in der Liga (in Dortmund, gegen Bremen) stellen ebenfalls große Herausforderungen dar. Der HSV dagegen bräuchte vor allem Zeit, um zu wachsen, doch diese ist in diesen Tagen ein knappes Gut. Siege sind die einzigen Medikamente, die den Patienten HSV heilen können.

Zwar stimmt die Qualität innerhalb des Kaders, doch auf dem Rasen spielten die Profis zumeist stumm nebeneinander, es fehlt an einer gewachsenen Struktur. Im Bestreben, die nächste Entwicklungsstufe zu erklimmen und den Erfolg zu maximieren, wurde der Kader mit radikalen Einschnitten verändert. Weil zudem Spieler verletzt ausfallen oder gesperrt sind, zahlt der HSV dafür jetzt – wenn auch in Stuttgart total unnötig – seinen Preis und schlittert unaufhaltsam in eine hausgemachte Krise, in der auch die Identifikation der Fans mit der Mannschaft leiden könnte.

Immerhin: Gegen Arsenal wollen Kompany (Adduktoren) und Jarolim (Arm) wieder ins Team zurückkehren. Beide trainierten gestern ohne Probleme. Atouba hingegen kehrt erst am Donnerstag aus Kamerun zurück und wird wie auch Juan Pablo Sorin nicht zur Verfügung stehen. Der Argentinier verspürte nach einem 45-Minuten-Lauf noch Schmerzen in der Wade. Sorin – auch er steht symptomatisch für den Zustand des „Patienten HSV“: Ein Kicker von internationaler Klasse, der aber noch nicht darf, wie er kann.

Hamburger Abendblatt

Doll: „Wir gehen durch ein Tal“

STUTTGART/HAMBURG

Von den Gästen im VIP-Raum des GAZI-Stadions, in dem die Pressekonferenz abgehalten wurde, gab es spontan lauten Beifall. Mit einigen kurzen Sätzen hatte Thomas Doll seine Mannschaft zusammengefaltet. „Das, was in der zweiten Halbzeit passiert ist, hatte nichts mehr mit Fußball zu tun. Wir haben völlig arrogant Chancen und Kontermöglichkeiten leichtfertig vergeben, die Verantwortung abgegeben und sind mit dem 3:3 bestraft worden. Wir müssen uns alle hinterfragen, ob das wirklich unser Weg ist. Die Niederlage haben wir uns selbst zuzuschreiben. Ich denke, der eine oder andere wird das auch sehen und spüren. Danke.“

In Doll brodelte ein gewaltiger Vulkan, und auch noch am nächsten Morgen war er stinksauer darüber, wie leichtfertig und „selbstherrlich“ die nächste Runde des DFB-Pokals aus den Händen gegeben wurde. Vor dem Training holte er seine Spieler zusammen, sprach einige Schwachpunkte an. Zum Beispiel, dass seine Mannschaft in dieser Saison bisher in jeder Partie Leistungsschwankungen hatte und es nicht schafft, über ein gesamtes Spiel konzentriert zu arbeiten.

„Wir wissen, dass wir durch ein kleines Tal gehen“, sagte Doll. „Die Entwicklung der Mannschaft dauert diese Saison länger, das ist eine riesige Herausforderung. Aber wir haben top gearbeitet, und ich bin sicher, dass wir aus dieser Phase gestärkt hervorgehen.“

In den nächsten Tagen will Doll gezielt die Kommunikation, den Austausch fördern, um den Kader wieder zu der verschworenen Einheit der vergangenen Saison zu formen. Von einer strukturellen Krise will der HSV-Coach nichts wissen: „Das Hauptproblem ist im Moment unser Samariterdenken, mit dem wir Mannschaften wieder ins Leben zurückholen.“ Davon, dass ein Chef auf dem Platz fehle, wollte Doll ebenfalls nichts hören: „Wenn man sich gegen eine Regionalliga-Mannschaft an jemandem aufrichten muss . . . , nein, daran lag es nicht.“

Stichwort Chef. Für Thomas Doll selbst werden die nächsten Wochen auch spannend: Wie schafft der Trainer, der bisher auf einer Welle des Erfolges surfte, den Umschwung? Obwohl es ihm schwer fiel, suchte Doll am Sonntag den Blick nach vorne: „Ab Montag ist das Stuttgart-Spiel abgehakt. Ich bin jetzt als Trainer gefordert, als jemand, der den Jungs die Richtung vorgibt. Wir haben bis Dezember sechs Champions-League-Spiele vor der Brust und viele Bundesliga-Spiele, darauf muss man sich freuen. Und ich bin sicher, dass die Mannschaft schon am Mittwoch gegen Arsenal ein anderes Gesicht haben wird.“ Dann müsse das Team zwei Gänge hochschalten und von der ersten bis zur 90. Minute hochkonzentriert agieren. „Gegen die Kickers haben wir so richtig einen vor den Bug bekommen. Vielleicht zum richtigen Zeitpunkt . . . “

Hamburger Abendblatt

DER GROTTENKICK AM DEGERLOCH

Doll brodelt: Arrogant und selbstzufrieden!
Peinliche Pokal-Pleite / Viele Stars, aber keine Mannschaft

SVEN TÖLLNER

Was sie brauchten, war ein Erfolgserlebnis – unbedingt. Kein Fußballfest, keine Champagner-Kombinationen, keine Traumtore. Einfach nur einen Erfolg. Was sie haben, ist – gar nichts. Eine peinliche 3:4-Blamage bei den Stuttgarter Kickers, ausgeschieden aus dem DFB-Pokal, ein weiterer schmerzhafter Hieb ins nicht eben gefestigte Nervenkostüm. Und das in einer Woche, in der der HSV die Rückkehr auf die höchste europäische Ebene feiert. Doch vor dem Spiel gegen Champions-League-Finalist Arsenal London am Mittwoch stimmt bei den Hamburgern gar nichts. Doll: „Diese Niederlage haben wir uns selbst zuzuschreiben. Und der eine oder andere wird das spüren und sehen.“

In der Analyse der Verantwortlichen war viel von Phasen die Rede, in denen sie gut gespielt haben. Was unter dem Strich herauskam, war eine Pokalschlappe, die anderen Top-Teams auch passiert. Für den HSV in seiner derzeitigen Verfassung ist die Niederlage gegen einen Drittligisten jedoch ein fatales Zeichen. „Arrogant“ nannte Doll den Auftritt des Teams, von „selbstzufriedenen Spielern“ sprach der Trainer.

Eine erstaunliche Diagnose! Denn bislang ist dem Team nicht viel gelungen, was zur Zufriedenheit Anlass geben könnte. Fünf Remis in Liga und Champions-League-Quali – eine Niederlage im DFB-Pokal. Die vielen guten Einzelspieler sind noch längst keine Mannschaft. „Wir werden noch einige Wochen brauchen, um uns zu finden“, sagt Zugang Joris Mathijsen, der bislang drei Mal mit der Mannschaft trainiert hat. Kapitän van der Vaart ist zur Behandlung in Amsterdam, Tim Atouba in Kamerun. Das macht es gewiss nicht leichter, zu Harmonie und Geschlossenheit zu finden. „Die Entwicklung dieser Mannschaft braucht länger“, sagt Thomas Doll. Auf fünf bis sechs Wochen bezifferte er kürzlich den Zeitrahmen. „Das geht schneller“, versprach der Coach gestern“, „denn Zeit haben wir nicht.“ Die nächsten Gegner heißen London, Dortmund und Bremen …

„Wir brauchen so schnell wie möglich ein Erfolgserlebnis“, sagt Bastian Reinhardt, „dann kommen wir ins Rollen.“ Warum dieser Befreiungsschlag gegen die Welt-Auswahl von Arsenal gelingen sollte, lässt sich nur schwer herleiten. Einzige Hoffnung: Auch Lehmann & Co. sind noch nicht auf Betriebstemperatur. Nach drei Premier-League-Spielen haben die „Gunners“ erst zwei Punkte auf dem Konto.

Hamburger Morgenpost

HSV raus – Doll sauer: «Wir waren arrogant»

Den Anfang verschlafen, dann kurz vor dem Ende aus allen Träumen gerissen: Der Hamburger SV ist nach der völlig unnötigen 3:4 (3:3, 3:2) Pleite nach Verlängerung im Erstrundenspiel des DFB-Pokals beim Regionaligisten Stuttgarter Kickers in eine Krise geschlittert.

HSV-Trainer Thomas Doll war über die Schmach beim drittklassigen Außenseiter erbost und versuchte mit einer Brandrede seine Spieler wach zu rütteln: «Was in der zweiten Halbzeit gelaufen ist, hatte nichts mehr mit Fußball zu tun. Wir waren völlig arrogant, haben Verantwortung abgeschoben und unsere Chancen leichtfertig vergeben. Das haben wir uns selber zuzuschreiben», sagte Doll und kündigte seinen «selbstzufriedenen» Spielern Konsequenzen an: «Der ein oder andere wird das jetzt zu spüren bekommen.»

Zwar fehlten vor 10 500 Zuschauern im erstmals seit 15 Jahren wieder ausverkauften Gazi-Stadion in Rafael van der Vaart, Vincent Kompany, Timothee Atouba, David Jarolim und Juan Pablo Sorin gleich fünf Stammkräfte, doch Doll ließ auch ein glückliches Händchen vermissen. Er nahm seine stärksten Offensivkräfte Piotr Trochowski und Danijel Ljuboja vorzeitig vom Feld und nahm damit dem HSV-Spiel die Impulsgeber. Die Frage nach dem Grund dieser unglücklichen Maßnahme blieb indes unbeantwortet: Der Hamburger Tross musste dringend zu seinem Flieger; eine Verlängerung oder gar ein Elfmeterschießen war offensichtlich nicht einkalkuliert worden.

Es entbehrte nicht einer gewissen Pikanterie, dass die ersten beiden Hamburger Treffer vom Wunschsturm des Kickers-Lokalrivalen VfB Stuttgart erzielt wurden. Zunächst hatten Recep Yildiz und Christian Okpala, der einen kapitalen Schnitzer von HSV-Schlussmann Sascha Kirschstein nutzte, die Gastgeber nach nur sechs Minuten mit 2:0 in Führung geschossen. Boubacar Sanogo (28.), der vor seinem Wechsel vom VfB umworben war, und Ljuboja (36.) – nach Vertragsstreitigkeiten zu den VfB-Amateuren verbannt und sogar von den Kickers-Anhängern bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen – brachten den HSV zurück.

Als Guy Demel mit einem volley erzielten Sonntagsschuss noch vor der Pause das Hamburger 3:2 erzielte, schien das Spiel gelaufen. Doch die Hanseaten nutzten ihre zahlreichen Chancen nicht und wurden dafür von Yildiz eine Minute vor dem Schlusspfiff bestraft. «Der HSV ist sein Überlegenheitsgefühl nicht losgeworden», bemerkte der ehemalige DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder süffisant.

Den auch in der Verlängerung packenden Pokalfight mit vielen Torszenen krönte erneut Okpala für die Kickers mit einem verwandelten Strafstoß (96.). Der HSV hat nur eins seiner acht Saison- Pflichtspiele gewonnen. Baden-Württemberg jedenfalls ist im DFB-Pokal ein schlechtes Pflaster: Vor 32 Jahren verlor der HSV 1:2 beim VfB Eppingen, zehn Jahre später folgte ein 0:2 beim SC Geislingen. Die Kickers nahmen nun erfolgreich Revanche für das 1:3 im DFB-Pokalendspiel 1987 sowie für das 1:5 vor Jahresfrist. Trainer Robin Dutt, an dem sogar Hannover 96 Interesse gezeigt hatte, freute sich «wahnsinnig» über den Pokalcoup, Torschütze Yildiz darf sich gar über einen fahrbaren Untersatz freuen: «Mein Vater sagte zu mir, wenn ich zwei Tore schieße, bekomme ich ein Auto.»

Financial Times

Sensationeller Sieg der Kickers
HSV verpatzt Generalprobe für Champions-League

In einem packenden Pokal-Fight über 120 Minuten gehen die Stuttgarter Kickers als Sieger vom Platz. In der Neuauflage des letztjährigen Erstrunden-Duells besiegelte ein Elfmeter von Okpala das Aus für den HSV, der bis zur 90. Minute wie der sichere Sieger aussah.

Die Stuttgarter Kickers starteten furios. Nach einem Doppelschlag in der 5. und 6. Minute durch Yildiz und Okpala lagen sie mit 2:0 in Führung. Die Antwort der Hamburger ließ nicht lange auf sich warten. Sanogo erzielte den Anschlusstreffer (28.), bevor Ljuboja in seiner ersten Partie für den HSV den Ausgleich besorgte (36.). Kurz vor der Pause mussten die Stuttgarter einen weiteren Nackenschlag hinnehmen: Demel brachte den Bundesligisten mit einem sehenswerten Treffer in Führung.

Das kommende Champions-League-Spiel im Hinterkopf versuchten die ersatzgeschwächten Hanseaten die knappe Führung zu verwalten und Kräfte zu schonen. Bis zur Schlussminute ging das auch gut, doch fast mit dem Schlusspfiff brachte Yildiz die Kickers mit einem Kopfball zurück ins Spiel.

In einer dramatischen Verlängerung hatten die Regionalligisten aus Stuttgart das bessere Ende für sich. Den goldenen Treffer erzielte Okpala durch einen von Mathijsen an Mesic verursachten Elfmeter.

Kicker

Eine Saison ohne Siege

Seit sechs Spielen hat der Hamburger SV nicht mehr gewonnen – nach der Blamage im DFB-Pokal wirkt Trainer Thomas Doll ratlos

Von Oliver Trust, Stuttgart

 

Wie sie davonhetzten, die Hamburger. Es glich einer Flucht. Das Flugzeug warte nicht, hieß es. Aber es wäre wahrscheinlich völlig egal gewesen, ob man am Flughafen in Echterdingen auf den Tross des Hamburger SV gewartet hätte oder nicht. Den meisten ging nur ein Gedanke durch den Kopf, Thomas Doll formulierte ihn: „Jetzt geht es darum, schnell aus Stuttgart wegzukommen.“ Als der HSV-Trainer die letzten Worte seines Satzes aussprach, drehte er sich bereits ab wie jemand, der weg muss, weil ihm ein beklemmendes Gefühl in der Brust die Luft raubt. Die Fernsehstationen beorderten ihre Kamerateams im Eilschritt vor die Haupttribüne des Gazi-Stadions in Stuttgart-Degerloch, um die Abfahrt der Verlierer zu filmen. Es lässt sich mit diesen Bildern allerlei orakeln, wenn es um die nächsten Wochen geht.

Champions League, schwere Spiele in der Bundesliga. Erst Arsenal, dann Dortmund und Bremen. Der Große fährt geschlagen aus der Arena des Kleinen. Im DFB-Pokal ist für den HSV alles möglich, immer wieder. 1974 1:2 in Eppingen, 1984 0:2 in Geislingen und nun dies 3:4 nach Verlängerung bei den Stuttgarter Kickers. Baden-Württemberg ist kein gutes Pflaster, wenn der HSV seine Kicker schickt. Diesmal aber ist es vielleicht schlimmer als je zuvor. Diesmal geht es um viel Geld, wenn am Mittwoch die Champions League auf dem Programm steht. Der HSV scheint alles andere als gerüstet. Eine Mannschaft, ja ein ganzer Verein sucht nach dem Ausweg aus etwas, was manche schon als Krise einstufen. Sechs Pflichtspiele, kein Sieg und nun das. Thomas Doll, der Trainer, senkte früh ernüchtert und ohnmächtig den Kopf am Spielfeldrand.

Tagesspiegel

Der Ton wird rauer

Trainer Doll befindet sich beim Hamburger SV in seiner kniffligsten Phase

Tobias Schächter

STUTTGART. Die zwei schwäbischen Reporter hielten ihre Erinnerungen nicht lange zurück. Zum dritten Mal erlebten sie ein Pokal-Aus des Hamburger SV bei einem Amateurligisten aus Baden-Württemberg. „Erst Eppingen 74, dann Geislingen 82 und jetzt die Kickers“, zählten sie auf. Das Bundesland deswegen zu einer No-Go-Area zu erklären, wie ein Fan der Stuttgarter Kickers nach dem 4:3-Triumph nach Verlängerung den HSV-Verantwortlichen riet, würde die Vergangenheit dann aber doch verklären. Schließlich haben die Hamburger eben gegen jene Kickers 1987 den Pokal gewonnen und in der vergangenen Saison in der ersten Pokalrunde an gleicher Stelle noch souverän mit 5:1 gesiegt.

Das wird die Hamburger nicht trösten, die nichts dagegen hätten, wenn diese turbulente Partie sich als Anekdote in dieser Saison verlieren würde. Doch das Aus, nachdem zunächst ein schneller 0:2-Rückstand noch in der ersten Halbzeit in eine 3:2-Führung verwandelt werden konnte, passt zum holprigen Start in der Liga. Vier Tage vor dem Champions-League-Auftakt gegen den FC Arsenal aus London mussten sich die Hamburger von den ehrgeizigen Regionalligaspielern im erstmals seit fünfzehn Jahren wieder ausverkauften Kickers-Stadion ihre Kräfte rauben lassen.

Nach all den markanten Personalrochaden, den langwierigen Verletzungen der Leistungsträger Van der Vaart, Jarolim, Kompany und dem Wirbel um den mehr Gehalt fordernden Atouba, hätte ein Erfolg für Ruhe und Selbstbewusstsein sorgen können. Doch nun herrscht an der Elbe weiter Ungewissheit, wohin kurzfristig der Weg des umgebauten Teams führen wird.

Und Thomas Doll befindet sich mitten in der kniffligsten Phase seiner jungen Trainer-Laufbahn. Der HSV-Coach muss die Neuen integrieren, die Ausfälle kompensieren, dabei schnell zu Punkten in der Bundesliga kommen und einen Fehlstart in der Champions League vermeiden. Ein schwieriges Unterfangen: In der Liga warten ein Auswärtsspiel in Dortmund und das Derby gegen Bremen. International folgen dem schweren Arsenal-Match zwei Auswärtsaufgaben. Es stimmt noch nicht viel in Hamburg, was auch daran abzulesen ist, dass Thomas Doll seine Spieler am Sonnabend hart kritisierte: „Was in der zweiten Hälfte abgelaufen ist, hatte mit Fußball nicht viel zu tun. Wir haben völlig arrogant unsere Konterchancen vergeben“, sagte der 40-Jährige und kündigte Konsequenzen an. Der Ton wird rauer.

Dabei hilft Doll, dass bald Juan Pablo Sorín zur Verfügung steht. Der Argentinier fehlte leicht verletzt in Stuttgart. Der jüngst für 2,5 Millionen Euro vom FC Villareal abgelöste Sorín ist Hoffnungsträger dafür, die derzeit nicht zu übersehenden schweren Geburtswehen beim Aufbruch in eine schwierige Saison geringer werden zu lassen.

So hoch hinaus wie die Hanseaten wollen die Kickers nicht, das Ziel aber ist immerhin die Rückkehr in die Zweite Liga. Der Erfolg gegen den HSV ist dabei ein weiteres positives Signal für den Tabellenführer der Regionalliga Süd. Nach dem erneuten Abstieg vor fünf Jahren, ist der Klub mit einem Etat von 2,4 Millionen Euro selbst in Liga drei weiterhin ein wirtschaftliches Leichtgewicht. Doch der junge Trainer Robin Dutt, 41, der vor zwei Jahren zusammen mit Jürgen Klopp und als Jahrgangsbester das Fußballlehrer-Diplom erwarb, beweist, aus wenig viel machen zu können.

Vor drei Jahren ist Dutt vom Trainer der Stuttgarter Reserve zum Cheftrainer aufgestiegen. Er hat die Mannschaft seitdem kontinuierlich weiterentwickelt und sich dadurch auch bundesweit Respekt verschafft. Letzte Woche weilte er zu Gesprächen in Hannover, Dutt war Kandidat für die Nachfolge Peter Neururers bei 96. „Ich hatte aber gleich das Gefühl, hinter Dieter Hecking nur die Nummer zwei zu sein“, erzählt er und will sich nach dem ersten Flirt mit einem Erstligisten „voll auf den Aufstieg mit den Kickers konzentrieren“.

Berliner Zeitung

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