Presse zum Fanprojekt Stuttgart

Fußball-Anhänger sind für Fanprojekt
DFB und Land zahlen je 60000 Euro für Sozialarbeit im Stadion

Die Anhänger des VfB und der Kickers erhöhen den Druck. Sie fordern vereint ein Fanprojekt, bei dem sich hauptamtliche Sozialarbeiter um Fußballfans kümmern. Unterstützung finden sie auch im Gemeinderat. Geld dafür gibt es vom Deutschen Fußball-Bund und vom Land. Die Stadt ist weiter zurückhaltend.

Von Frank Rothfuß

Schon lange bewegen sich der VfB Stuttgart und die Stuttgarter Kickers nicht mehr auf Augenhöhe. Doch ihre Anhänger pflegen weiter ihre Abneigung. Blaue und Rote im Schulterschluss, das kann man sich eigentlich nicht vorstellen. Umso größer ist die Symbolkraft, wenn sie jetzt vereint für eine Sache streiten. Sie setzen sich vehement für ein Fanprojekt ein. In 41 Städten in Deutschland kümmern sich bereits Sozialarbeiter um Fußballfans und deren Anliegen, nicht nur im Stadion, sondern auch bei Problemen mit Schule, Eltern oder Alkohol.

In Stuttgart allerdings standen bisher Stadt und Polizei auf dem Standpunkt, ein Fanprojekt sei überflüssig. Den Vorstoß des VfB-Anhängerverbandes vor einem Jahr bügelte das Jugendamt mit dem Hinweis ab, in den Stadtteilen würden Jugendliche mit mobiler Jugendarbeit und in Jugendhäusern betreut, „und zwar besser als in einem Fanprojekt“. Und die Polizei sah sich mit ihren szenekundigen Beamten bestens gerüstet.

Doch als Anfang des Jahres Baden-Württemberg als letztes Bundesland ankündigte, fürderhin Fanprojekte zu unterstützen und 180 000 Euro bereitstellte, kam die Sache wieder ins Rollen. „Ich sitze quasi auf einem Geldkoffer“, sagt Michael Gabriel, Leiter der Koordinierungsstelle der Fanprojekte. Der Deutsche Fußball-Bund und die Deutsche Fußball-Liga unterstützen jedes Fanprojekt mit 60 000 Euro. „Das Geld steht bereit. Wenn Bundesland und Kommune ihr Drittel zahlen, zahlt auch der Fußball.“ Geld, das man nur abzuholen braucht, das übt großen Reiz aus auf Kommunalpolitiker. Zahle 60 000, bekomme 120 000 Euro dazu – ein Angebot, das man kaum ausschlagen kann.

Dies wissen auch die Fans und baten deshalb diverse Stadträte zu einer Diskussionsrunde, bei der sich erstmals die Anhänger der Kickers zu einem Fanprojekt bekannten. Maike Epple, selbst gerade Mitte 20, schilderte, dass in Degerloch seit einiger Zeit junge Leute aktiv seien, „zu denen wir keinen Kontakt bekommen“. Denen sei die Mentalität der Fanszene gleichgültig, „sie suchen sich auf dem Videoportal You Tube Vorbilder“ und bilden sich via Bildschirm zu Nachwuchs-Hooligans fort. Des Weiteren gebe es vermehrt Scharmützel zwischen VfB- und Kickers-Anhängern. „Die lauern sich auf, klauen sich Schals, prügeln sich.“ Die Polizei erreicht solche Vorfälle nicht, da ist der Ehrenkodex der Fans vor. Epple: „Darüber redet man nicht mit der Polizei!“

Dies ist typisch für das Verhältnis zwischen Fans und Ordnungshütern. Gabriel hat beobachtet, „dass sich ein Feindbild auf beiden Seiten verfestigt“. Es gebe keinen Dialog mehr. Auch die 800 Ultras des Commando Cannstatt reden nicht mehr mit der Polizei. „Man hat uns zu oft gelinkt“, sagen sie, „die Polizei hat in der Vergangenheit Ansprechpartner gesucht, dann erhielten zwei Wochen später jene Fans Stadionverbote mit der Begründung, sie hätten auf die anderen eingewirkt und seien Rädelsführer.“ Ihr Schluss: „Wir brauchen hauptamtliche Fanbetreuer, die den Dialog übernehmen.“

Ehrenamtlich haben dies Holger Waidelich, Chef des VfB-Anhängerverbands, und drei andere Sozialarbeiter getan. Hervorgegangen ist ihr Engagement aus der Fanbotschaft während der WM 2006. Waidelich: „Wir haben gesehen, es gibt Bedarf.“ Man habe dann ehrenamtlich weitergemacht mit Unterstützung des VfB. Sie riefen U-18- Fahrten zu Auswärtsspielen für Jugendliche ins Leben, bei denen nicht geraucht und kein Alkohol getrunken wird. „Aber Fans, die Probleme mit Alkohol, mit der Schule haben, brauchen eine Einzelfallbetreuung, das sprengt unseren Rahmen.“ Man habe ein Konzept geschrieben, bei der Stadt eingereicht „und nichts mehr gehört“.

Deshalb haben sich die Fans nun an die Fraktionen des Gemeinderats gewandt. Dort sorgte das Schweigen der Stadt für „Erstaunen“. Umso mehr, als sich der VfB und die Kickers für ein Fanprojekt ausgesprochen haben. Auch die Polizei mit dem neuen Einsatzleiter Guido Passaro „kann sich ein Fanprojekt vorstellen“. Diese breite Unterstützung und das Nachhaken diverser Stadträte haben in der Verwaltung offenbar für Bewegung gesorgt. Am 3. Juli gibt es ein Treffen zwischen dem Jugendamt, Sozialbürgermeisterin Gabriele Müller-Trimbusch und Ordnungsbürgermeister Martin Schairer. Und Stadtsprecher Markus Schubert sagt: „Es ist aus jetziger Sicht denkbar, dass sich die Stadt an einem Fanprojekt beteiligt.“

Gabriel warnte allerdings davor, zu viel zu erwarten. „Fanprojekte sind keine Gewaltverhinderungsprojekte“, sagt er, „das ist eine Form der Jugendarbeit, bei der man in Dekaden denken muss.“ Aber sie sei lohnenswert. „Sie erreichen damit eine riesige Zahl engagierter Menschen. Die Stadien sind an den Wochenenden die größten Jugendhäuser der Stadt.“

Stuttgarter Nachrichten

Notwendig
Von Frank Rothfuß

In Berlin, München und Hamburg gibt es zwei, sogar Aue, Saarbrücken und Lübeck haben eines, in Stuttgart allerdings glaubt man, ohne Fanprojekte auskommen zu können. Sozialarbeit im Stadion, ach was, das sei doch überflüssig, bekundeten Land, Polizei und Stadt lange Jahre unisono. Erstaunlich, wo doch in 41 anderen Städten in Deutschland die Arbeit der Sozialarbeiter gelobt und geschätzt wird.

Doch hierzulande war man bei Innenministerium und Polizei lange der Meinung, Fans seien vor allem Gewalttäter und nicht Gesprächspartner. Bezeichnend, dass bei jeder Demonstration mittlerweile sogenannte Deeskalationsbeamte eingesetzt werden – nur beim Fußball nicht. Und die mobile Jugendarbeit verteidigt ihre Pfründe. Ihr Auftrag war nämlich bisher die Fanarbeit. Doch im Stadion ließ sich das Jugendamt nicht blicken. Ein Sonderweg, der in die Irre geführt hat. Die Strukturen sind nicht mehr zeitgemäß. Die Fanszene des VfB ist enorm gewachsen, 45 000 Mitglieder hat der Verein, 1000 davon zählen zum harten Kern, sie begleiten den Verein überallhin. Und bei den Kickers verfestigt sich eine Hooliganszene.

Nun wird ein Fanprojekt nicht jede Gewalttat verhindern, aber Sozialarbeiter, die von allen Seiten akzeptiert und respektiert werden, können vermitteln und Vertrauen schaffen. Beim Land und bei der Polizei hat man dies eingesehen, bei der Stadt ist diese Erkenntnis noch nicht überall angekommen. Es wird Zeit, den Stuttgarter Sonderweg zu beenden: Ein Fanprojekt ist dringend notwendig.

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